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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Abakum, der das Schlusslicht bildete, behielt sie fest im Blick. Durch sein besonders feines Gespür konnte er das Auf und Ab in Oksas Geist erfassen, die Höhen und Tiefen in ihren Gedanken. Ihm war klar, dass sie nicht wusste, was von ihr erwartet wurde. Doch das hinderte den Feenmann nicht daran, volles Vertrauen in sie zu haben. Oksa würde sie retten. Es war nicht nur eine Hoffnung, sondern eine Gewissheit und seine feste Überzeugung. Schließlich wachten die Alterslosen Feen über die Junge Huldvolle, das durfte man nicht vergessen. Die Frage war nur, ob sie alle zusammen der unheilvollen Macht der Schauerlichen gewachsen sein würden. Abakum straffte den Rücken, heftete den Blick erneut auf Oksas schmale Gestalt und ging weiter. Trotz seines hohen Alters hielt er erstaunlich gut durch, im Gegensatz zu Leomido und Remineszen. Die alte Dame war völlig entkräftet. Die bereits bestandenen Gefahren hatten ihr heftig zugesetzt. Dazu kamen noch die lange Einsamkeit und die grausame Ungewissheit, die sie hatte ertragen müssen, als sie sich für immer im Gemälde gefangen glaubte. Außerdem verletzte der glühende Staub auf dem Boden wieder ihre Füße, die in den Riemchensandalen völlig ungeschützt waren. Leomido hatte ihr zwar bald die abgetrennten Ärmel seiner dicken Baumwolljacke um die Füße gewickelt, doch der Körper der alten Dame versagte ihr den Dienst. Nicht mal die Aussicht, ihre Enkelin Zoé wiederzusehen, konnte ihr noch Kraft spenden: Die Erschöpfung hatte gesiegt, und die Hoffnung war nach und nach geschwunden. Sie stützte sich mit jedem Schritt mehr auf Leomido ab.
    »Komm, ich trage dich«, sagte er mit rauer Stimme.
    Remineszens ließ es zu, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Hinter ihnen ballte Abakum machtlos die Fäuste.
    »Wie lange sind wir nun schon hier?«, fragte Oksa ihren Vater.
    Pavel zuckte die Schultern und griff nach Oksas Hand. Sie war glühend heiß. Alle versuchten, nicht daran zu denken, aber der Wassermangel würde in absehbarer Zeit lebensbedrohlich werden. Nur der Kapiernix gab sich keinerlei Mühe, sich diesen Gedanken aus seinem trägen Hirn zu schlagen.
    »Kann mir bitte jemand ein bisschen Wasser geben? Ich bin am Verdursten!«, sagte er.
    »Wir auch«, entgegnete Oksa unfreundlich.
    »Nur ein klitzekleines Glas Wasser, wenn es keine Mühe macht«, fuhr das Geschöpf unbekümmert fort.
    »Mit Strohhalm und Eiswürfeln, oder?«, schimpfte Gus.
    »Oh! Das wäre wirklich großartig, Freund der Jungen Huldvollen«, sagte der Kapiernix begeistert.
    »Gern geschehen!«, sagte Gus und stampfte fest auf den staubigen Boden. »Kommt sofort! Aber nur, wenn du jetzt die Klappe hältst.«
    Der Kapiernix ließ sich Gus’ Angebot eine Weile durch den Kopf gehen, sah ihn mit seinen großen Augen an und presste beide Hände fest auf den Mund, um sicherzugehen, dass ihm kein Wort über die Lippen kam. Dann wartete er auf das Glas Wasser – aber vielleicht hatte er seinen Durst auch schon wieder vergessen … Was bei allen anderen sicher nicht der Fall war! Sie litten still vor sich hin. Noch ein paar Stunden, und sie wären alle tot, so viel stand fest. Sie liefen immer weiter, blieben nur hin und wieder stehen, um sich auf den heißen, staubigen Boden fallen zu lassen. Ihre Kraftreserven würden bald erschöpft sein. Sehr bald. Denn bei einer Durchschnittstemperatur von fünfundvierzig Grad – in der Temperatur von Da-Draußen ausgedrückt – war ihr Marsch ein unglaublicher Kraftakt. Remineszens und Gus boten einen bemitleidenswerten Anblick. Ihre Lippen waren rissig, und sie hatten dunkle Ringe unter den Augen. Leomido hatte Abakums Hilfe angenommen, und so trugen beide im Wechsel Remineszens, doch es fiel ihnen zusehends schwerer. Pierre und Pavel hingegen nahmen abwechselnd Gus auf den Rücken, der ja kein echter Rette-sich-wer-kann war. In dieser furchtbaren Umgebung war der körperliche Vorteil der Nachkommen Edefias offensichtlich.
    »Ich schäme mich ja so«, murmelte Gus und verbarg das Gesicht an der Schulter seines Vaters.
    »Hör auf mit dem Blödsinn!«, schimpfte Oksa erschöpft.
    Und so schleppten sie sich dahin, mit geröteten Augen und immer mehr Blasen an den Füßen. Es war eine einzige Qual. Immerhin war der widerlich stechende Geruch weg, und im Boden zeigten sich jetzt die von der Sensibylle angekündigten Spalten – die ihr Vorankommen nur noch mehr erschwerten. Die Zeit schien sich zu dehnen, die Stunden – oder waren es inzwischen Tage? –

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