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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scholder Christoph
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er hier sang- und klanglos erfrieren.
    Dann wäre er Rattenfutter.
    Wenn die Kakerlaken den Ratten nicht zuvorkämen.
    *
    Amelie Karman wachte beim ersten Läuten des Telefons auf. Sie hatte nur leicht geschlafen, nachdem sie zunächst lange wach gelegen hatte. Was war das für ein Tag gewesen!
    Mit großem Abstand der erfolgreichste Tag ihres bisherigen Berufslebens. Sie war mit zwei Artikeln in der Zeitung vertreten gewesen. In der regulären Morgenausgabe und in der Sonderausgabe am Abend. Mit Artikeln, die bundesweit erschienen waren. Auf Seite eins.
    Sie hatte ihre Quelle geschützt. Dem Chefredakteur gegenüber hatte sie den Namen Hirschmoser nicht erwähnt. Der Mann gehörte ihr. Nur ihr. Exklusiv. Sie hatte Hirschmoser den Redakteuren in Hamburg als »gut unterrichtete Quelle« verkauft. Der Chefredakteur hatte die Giftgas-Meldung anstandslos geschluckt.
    Sie hatten etwas nervös darauf gewartet, wie die offiziellen Stellen auf diese Meldung reagieren würden. Das wütende Dementi war jedoch ausgeblieben. Der Chef in Hamburg hatte das als Bestätigung interpretiert. Der Mann hatte ausschließlich die Höhe der Auflage im Kopf. Und was die Auflage anbetraf, hatte die abendliche Sonderausgabe alle Rekorde gebrochen.
    Sie nahm den Anruf entgegen. Der junge Praktikant, der in der Lokalredaktion Nachtschicht schob, redete wie ein Wasserfall. Wenn sie das alles richtig verstand, hatte ein Obdachloser in der Redaktion angerufen und behauptet, am Ufer der Isar läge eine Leiche. Ob das interessant für sie wäre? Allerdings!
    Sie notierte sich den Namen des Mannes.
    Ludwig Lochbihler.
    Und den angeblichen Fundort.
    Reichenbachbrücke.
    Danach bedankte sie sich und erklärte dem Praktikanten, dass sie sich sofort um die Sache kümmern werde. Sie verabschiedete sich freundlich, legte auf und wählte sofort die Nummer des Fotografen, mit dem sie für gewöhnlich zusammenarbeitete.
    Nach dem achten Klingeln meldete sich der Bildjournalist mit verschlafener Stimme. Sie erklärte ihm kurz, worum es ging. Sie verabredeten sich an der Reichenbachbrücke. Zwanzig Minuten mussten reichen, um dorthin zu gelangen.
    Schließlich rief sie ein Taxi, zog sich hastig an, schlüpfte in ihre gefütterte Regenjacke, steckte Notizzettel, Kugelschreiber und Diktiergerät ein und verließ die Wohnung. Sie wollte gerade die Wohnungstür hinter sich zuziehen, als sie innehielt. Ihr kam eine Idee.
    Was hatte der Praktikant am Telefon gesagt?
    Wer hatte da angerufen?
    Ein Obdachloser?
    Sie öffnete die Wohnungstür wieder, hastete in den Flur zurück und holte die noch verschlossene Jack-Daniel’s-Flasche aus der Hausbar. Es war eben immer gut, so etwas im Haus zu haben. Das würde die Verhandlungen mit dem Mann mit Sicherheit beschleunigen. Und die ganze Angelegenheit vermutlich auch noch verbilligen.
    Zum zweiten Mal verließ sie die Wohnung und eilte die Treppe hinab.
    Sie freute sich darauf, in dieser Nacht den Spieß umdrehen zu können. Wenn an der Geschichte etwas dran war, dann wäre es heute Nacht an ihr, den Chefredakteur aus dem Bett zu holen.
    Werner wäre stolz auf sie, das wusste Amelie Karman. Wenn er heil aus dieser ganzen Sache rauskäme, würde sie ihren Erfolg zusammen mit ihrem Geliebten ganz groß feiern. Und er würde heil rauskommen. Ihre Euphorie hatte mittlerweile sogar die Angst verdrängt.
    Alles würde gut werden.
    *
    Luft werden.
    Wind werden.
    Sturm werden.
    Kapitän zur See Wolfgang Härter versenkte sich in Meditationsübungen. Seine Gedanken gingen weit in der Zeit zurück, über zwanzig Jahre.
    Luft werden.
    Wind werden.
    Sturm werden.
    Direkt nach dem Abitur – Leistungskurse: Geschichte und Sport – hatte er seinen Eltern eröffnet, dass er für zwei Jahre nach China gehen wolle. Ins Kloster. Zu den Shaolin-Mönchen.
    Er war schon immer sehr sportlich gewesen. In der Schule hatte er die Eins in Sport abonniert. Jedoch nur in Individualsportarten. Mannschaftssportarten konnte er nichts abgewinnen. Kindische Ballspiele. Das war nichts für ihn. Schwimmen. Tauchen. Leichtathletik. Rudern. Reiten. Schießen. Fechten. Turnen. Klettern. Surfen. Im Winter Abfahrtslauf und Biathlon. Das waren seine Sportarten.
    Vor allem jedoch Kampfsport.
    Luft werden.
    Wind werden.
    Sturm werden.
    Im Alter von fünf Jahren hatte er mit Judo angefangen. Bereits drei Jahre später sattelte er um auf Karate. Mit vierzehn dann auf Taekwondo. Mit sechzehn war er deutscher Jugendmeister im Kickboxen. Aber nicht nur die körperliche

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