Oktoberfest
geöffnet wurde. Er sprang aus dem Auto und eilte durch den Haupteingang zum Büro des Regierungschefs. Bereits in der Eingangshalle bemerkte er, dass die Beamten der Sicherungsgruppe aufgerüstet hatten. Sie trugen automatische Waffen.
H&K MP 5.
*
Achtmal hatte er unterwegs Luft holen können. Die Ruhepausen waren von Mal zu Mal länger geworden. Seine gemarterten Lungen waren an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt und schmerzten immer stärker. Seine Glieder wurden langsam steif. Er kühlte aus. Sein ganzer Körper schrie nach Ruhe. Der Abschnitt, den er jetzt hinter sich zu bringen hatte, war der längste. Seine linke, nach vorne ausgestreckte Hand stieß an ein Hindernis.
Endlich.
Da war das Scheißding ja.
Die Rattensperre.
Mit der rechten Hand zog er das Messer, das er am Bein trug, aus der Scheide. Mit einem kräftigen Stoß trieb Wolfgang Härter die Klinge in den oberen Rand des Metallgitters, das ihm den Weg versperrte. Mit brachialer Gewalt zog er die Schneide durch das rostfreie Gewebe nach unten durch.
In der Wunde an seinem linken Oberarm spürte er ein quälendes Klopfen, das in den Unterarm und die Schulter ausstrahlte. Er ließ ein wenig Luft aus den Lungen entweichen.
Er griff in den Schnitt und versuchte, die Rattensperre wegzureißen, aber es ging nicht. Irgendetwas Weiches strich über seine von Kälte klammen Finger. Er zog die Hand zurück und setzte das Messer rechts am Rand erneut an. Seine Kräfte ließen nach. Die Klinge rutschte ab.
Mit voller Wucht stieß er abermals zu. Er spürte, wie die Schneide durch das Metall drang. Mit einer weiteren Kraftanstrengung zog er das Messer durch das widerspenstige Material bis zur linken Seite durch.
Kapitän zur See Wolfgang Härter spürte seinen linken Arm kaum noch. Nur den pulsierenden Schmerz in der Wunde. Ein Taubheitsgefühl kroch von der Schulter abwärts in seine Finger. Er schlug sich mit der rechten Hand auf die Wunde. Ein glühender Impuls jagte durch seine Nervenbahnen und brachte das Gefühl zurück.
Mit beiden Händen drückte er nun die Teile des durchschnittenen Gitters zur Seite. Plötzlich war ein Gewusel um ihn, dass er Mühe hatte, die aufsteigende Welle der Panik zu unterdrücken.
Ratten!
Tausende von Ratten trieben, schwammen, schlängelten sich an ihm vorbei. Die von hinten nachdrängenden Tiere schoben die Leiber ihrer ertrunkenen Artgenossen vor sich her.
Härter rammte die Klinge des Messers ins Mauerwerk, um sich mit beiden Händen daran festzuklammern. Ratten in seinem Gesicht. An seinem Körper. Ratten überall. Ein Strom von Tieren in Todesangst ergoss sich durch das Fallrohr über ihn.
Wie viele kamen da noch?
Er drohte mitgerissen zu werden.
*
Ludwig Lochbihler, den die Obdachlosen unter der Reichenbachbrücke Wiggerl riefen, wachte auf. Irgendjemand schrie herum. War da wieder einer im Delirium? Waren wieder weiße Mäuse und rosa Spinnen unterwegs? Er hob den Kopf von seinem Lager und sah sich um.
Meine Güte, was für ein Wetter! Sein Blick fand Pepe, der mit zum Himmel gereckten Armen schreiend am Ufer der Isar entlangrannte. Zu der Treppe, die zum Hochufer führte. Was war denn mit dem alten Pepe auf einmal los?
Er suchte mit seinen Augen die Umgebung ab, ob er irgendetwas Außergewöhnliches entdecken konnte. Ein Blitz zuckte über den nächtlichen Gewitterhimmel, und in diesem Moment sah Wiggerl das schwarze Bündel am Ufer liegen.
Er erhob sich von seinem Lager und schlurfte zu diesem merkwürdigen Ding.
Ludwig Lochbihler war schwerst alkoholkrank, aber er hatte sich vor dem Schlafengehen eine ordentliche Ladung Doppelkorn verpasst. Deshalb war er momentan ruhig und ausgeglichen. Er bekam zwar einen Schreck, als er sah, was da am Ufer lag. Doch er dachte vor allem daran, ob und wie er aus diesem Fund Kapital schlagen konnte.
Nicht, dass er die Uniform der Leiche erkannt hätte. Aber irgendwie roch das nach einer Prämie. Er bemerkte, dass der Tote eine kugelsichere Weste trug. Mit Löchern drin, wie merkwürdig. Die verstümmelte Leiche mit diesem komischen Anzug, das war doch ein Bild für die Presse. Für so etwas bezahlten die Zeitungen bestimmt gut.
Natürlich nur, wenn man sie anrief, noch bevor die Polizei anrückte. Er hatte keine Zeit zu verlieren. Er würde es gleich bei der größten Zeitung von allen probieren. Die Telefonnummer der Lokalredaktion stand auf jedem Zeitungskasten. Da waren doch bestimmt fünfhundert Euro drin. Vielleicht auch nur dreihundert.
Auf
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