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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scholder Christoph
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dem sicheren Wissen anschaute, dass seine Blicke niemals erwidert würden.
    Er war hin und weg gewesen, als dieses göttliche Geschöpf ihn mit einem überwältigenden Lächeln begrüßt hatte. Sie hatte ihm die Hand gegeben und ihn mit »Herr Lochbihler« angesprochen. Das war ihm, außer auf dem Sozialamt, im Krankenhaus und bei der Polizei, seit zehn Jahren nicht mehr passiert.
    Dann hatte sie ihm eine randvolle Flasche Jack Daniel’s in die Hand gedrückt. »Ich habe Ihnen was mitgebracht«, hatte die Lady gesagt. »Vielen Dank«, hatte er nur herausgebracht, als sie ihm den Whiskey gegeben hatte.
    Jack Daniel’s! Das war aber auch wirklich gemein. Konnte die etwa hellsehen? Die Lady hatte genau seinen Geschmack getroffen.
    »Ich habe zu danken, dass Sie uns angerufen haben, Herr Lochbihler«, hatte die Lady gesagt. »Nichts zu danken«, hatte er nur erwidert. Was für eine Frau, hatte er gedacht.
    So ein durchtriebenes Rabenaas!
    Sie hatte ihn mit einem weiteren umwerfenden Lächeln beschenkt und in beiläufigem Ton gefragt, wo denn die angebliche Leiche liegen würde. Die Lady hatte dabei einen so unschuldigen Augenaufschlag am Leib gehabt, Bette Davis wäre noch schonend ausgedrückt, das glaubst du nicht.
    Verdammt noch mal!
    Dieses Miststück hatte ihn überrumpelt wie einen Teenager.
    Hatte ihn eiskalt über den Tisch gezogen.
    Hatte ihn nach Strich und Faden verarscht.
    »Was heißt hier angebliche Leiche?«, hatte er aufgebracht zurückgefragt. »Ich erzähle Ihnen doch keinen Mist. Ich bin ein Ehrenmann.«
    Dann hatte er die Lady am Arm genommen und war mit ihr zu der Treppe gegangen, die zum Kiesbett hinunterführt. Im rechten Arm die Lady, in der linken Hand die volle Whiskeyflasche.
    Das war ein tolles Gefühl gewesen. Wie Humphrey Bogart war er sich dabei vorgekommen.
    Und dann hatte er ihr die Leiche gezeigt.
    Ohne vorher sein Geld verlangt zu haben.
    Verdammt, verdammt, verdammt!
    Was war er doch für ein Idiot. Er hätte sich ohrfeigen können. Aber wie sagte der alte Pepe doch immer so richtig?
    Aus.
    Vorbei.
    Nicht mehr zu ändern.
    Jetzt saß er wieder auf seinem Lager unter der Brücke und beruhigte seine Brüder, die allesamt aufgewacht waren, als das Blitzlichtgewitter losgegangen war. Und jetzt kamen auch noch die Bullen. Er konnte den zuckenden Schein der Blaulichter am Hochufer schon sehen. Mit der Nachtruhe war es erst mal vorbei. Die würden ihn mit Fragen bombardieren. Dabei wusste er doch gar nichts.
    Immerhin: Seinen Jack Daniel’s hatte er verstecken können.
    Die Flasche war in Sicherheit.
    Wenigstens etwas.

12
    S ie erkannte das Signet auf der Uniform des Mannes sofort. GSG 9. Noch vom Ufer der Isar aus rief sie in Hamburg an.
    Der Chefredakteur ließ die Druckstraßen anhalten. Der äußere Bogen wurde geändert. Die Fotos des toten GSG-9-Beamten lösten einen Sturm der Begeisterung bis hoch in die Konzernleitung aus. Zumal sie die Aufnahmen exklusiv hatten. Allein der weltweite Verkauf der Druck- und Senderechte brächte Millionen. Niemand sonst hatte auch nur annähernd vergleichbares Bildmaterial. Aber auch Amelie Karman hatte mit ihrer Schlagzeile wieder Punkte gesammelt.
    »Desaster auf dem Oktoberfest«, verkündete die erste Seite.
    Und darunter, in gigantischen Lettern: »GSG 9 VERNICHTET?«
    Die Auflage der Morgenausgabe ging durch die Decke.
    *
    Die Stimmung im Krisenzentrum war miserabel. Die Nerven lagen blank. Und ausgerechnet jetzt musste ihnen auch noch diese Sache mit dem Foto passieren.
    Sie überlegten schon seit Stunden, wie sie der Welt erklären sollten, dass zweitausendzweihundertachtundvierzig Geiseln, achtundsechzig Bereitschaftspolizisten, fünfzehn Sanitäter, sieben Mitarbeiter des THW, drei Notärzte, ein SEK-Beamter und zwanzig Männer der GSG 9 tot waren.
    Dabei waren sie immer wieder auf ein und dasselbe Problem gestoßen: Das war eigentlich nicht zu erklären.
    Egal, was man in die Pressemitteilung geschrieben hätte. Egal, was der Regierungssprecher gesagt hätte. Immer hätten sie dagestanden wie inkompetente Idioten. Die Weltpresse wäre über sie hergefallen wie ein Schwarm Wanderheuschrecken.
    Doch dann kam der Oberbürgermeister auf die Idee mit dem Kardinal. Dr. Roland Frühe erkannte sofort, dass das eine ausgezeichnete Idee war. Der Erzbischof von München und Freising, Wilhelm Kardinal Donner, sollte die Nachricht verkünden. Geburt, Kommunion, Eheschließung und eben auch der Tod waren ja schließlich seine Fachgebiete, wenn man so

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