Oktoberfest
die Positionsanzeige. Alles wie geplant. Als sie die Atlantikküste erreicht hatten, waren sie auf nördlichem Kurs der Küstenlinie gefolgt. Sie befanden sich mittlerweile im französischen Luftraum.
Seine Gepäckbombe wurde bereits zur Druckschleuse gebracht. Nur noch zwei Männer, dann war er an der Reihe.
Eine Wohnung in Marseille wartete auf ihn.
Er drückte auf die Return-Taste. Das Signal, das von dem Flugzeug zum Benediktiner-Zelt gesendet wurde, war nun ebenfalls mit einem Zeitstempel gesichert. Er nickte zufrieden und wandte sich an Hauptmann Tomjedow, der neben ihm saß.
»Hauptmann Tomjedow, Sie übernehmen ab jetzt. Achten Sie auf jedes Anzeichen einer Attacke auf die Signale. Der Gegner ist nicht von gestern. Ich glaube zwar nicht, dass sie uns jetzt noch gefährlich werden können. Aber sicher ist sicher.«
»Zu Befehl, Polkownik!«, sagte er schneidig.
Oberst Okidadse stand auf, nickte ihm noch einmal kurz zu und verließ den Gefechtsstand in Richtung Druckschleuse.
Der Alte sieht Gespenster, dachte Tomjedow, als er Okidadse verächtlich hinterhersah. Wird Zeit, dass der endlich abspringt.
Hauptmann Tomjedow hatte nämlich noch einiges zu erledigen. Schon vor über einem Jahr hatte er von Iljuschins alternativem Plan erfahren, was nach dem Ende der Operation geschehen sollte. Einem viel besseren Plan als dem des Generals.
Und ab jetzt hatte Iljuschin das Kommando.
Genau wie Iljuschin hielt Hauptmann Tomjedow nichts von Blochins Idee, dass sie sich in alle Winde zerstreuen sollten. Eine Bündelung der Kräfte leuchtete ihm viel mehr ein. Er hatte deshalb auch bei der Vorbereitung ihres Verstecks mitgearbeitet. Identitäten gefälscht. Häuser angemietet. Zweiunddreißig Mann würden unter Iljuschins Kommando gemeinsam abspringen. Hauptmann Tomjedow war stolz darauf, einer von ihnen zu sein.
Und sie hatten sich ein wirklich gutes Versteck ausgewählt.
An einem Ort, an dem sie garantiert niemand suchen würde: in Deutschland.
Tomjedow lächelte, während er eine CD-ROM in das Laufwerk des Rechners schob. Auf Iljuschins Befehl hatte er die Befehlssequenz programmiert, die er gleich installieren würde. Das ging erst jetzt, nachdem Oberst Okidadse das Kommando abgegeben hatte. Der hätte den Inhalt der Sequenz nämlich bestimmt nicht gutgeheißen.
Die Sequenz enthielt genaue Anweisungen für den Rechner auf dem Oktoberfest.
Iljuschin hatte sie »letzter Gruß« getauft.
Ein durchaus passender Name, fand Tomjedow.
21:48 Uhr
Seit über einer Stunde flogen sie durch völlige Dunkelheit. Durch die Fenster des Flugzeugs sah man nichts als schwarze Nacht. Ferne Sterne leuchteten. Amelie Karman nahm die Geschehnisse nur noch wie durch einen Schleier wahr.
Ein böser Traum.
Sie tat, was man ihr befohlen hatte. Mit mechanischen Bewegungen zog sie sich bis auf die Unterwäsche aus. Der Kerl mit den unsteten Augen ließ sie dabei keine Sekunde unbeobachtet. Aus der Schwärze seiner Pupillen sprang ihr die nackte Gier entgegen. Seine Blicke wollten die Formen ihres Körpers regelrecht verschlingen. Sie fragte sich nüchtern, wie lange es wohl noch dauern würde, bis dieses Monster über sie herfiele.
Der Mann kam einen weiteren Schritt näher und schnüffelte. »Du riechst gut, Amelie. Frisch. Wie in meinen Träumen.« Sie hörte ein tiefes Atmen unter der Sturmhaube. »Du bist wunderschön.« Die Worte wurden begleitet von einem schlangenartigen Zischen. Mit einer schnellen, reptilienhaften Bewegung glitt seine Zunge über die Lippen. Die seltsame mimische Regung wurde durch die Sturmhaube verborgen.
Abrupt drehte der Mann sich um, griff nach etwas, das hinter ihm auf einem der Sitze lag, und gab es Amelie.
»Hier. Zieh das an!«
In seiner rechten Hand hielt er ein schwarzes Kleidungsstück. Amelie erkannte sofort, dass es sich um einen Overall handelte. Ein Anzug, wie ihn die Männer trugen, wenn sie nach hinten gingen. Ihr war schon seit Stunden klar, dass die Geiselnehmer mit Fallschirmen absprangen.
Mit den gleichen mechanischen Bewegungen begann Amelie, in den Anzug zu steigen.
»Eins nach dem anderen, Amelie. Du musst das hier drunterziehen.« Seine Hand wies auf einen Stapel säuberlich zusammengelegter Kleidungsstücke. Obenauf lag lange Unterwäsche. »Sonst erfrierst du. Es ist ziemlich kalt in siebentausend Metern Höhe.« Durch den Stoff der Sturmhaube hörte sie ein Kichern. Kindlich. Wie über einen gelungenen Streich.
Sie nickte teilnahmslos und stieg wieder aus dem Overall.
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