Oktoberfest
Dann wandte sie sich ab und begann erneut, sich anzuziehen. Die Kleidung war weich. Angenehm.
»Ich kleide dich in Seide«, hörte sie die Stimme des Mannes hinter sich.
In ihrem Rücken schienen seine Blicke ihre nackte Haut zu versengen.
Sie wagte nicht, sich umzusehen.
*
»Die haben tatsächlich gepfuscht. Sie haben ungeprüfte Primzahlen verwendet, sogenannte schwache Primzahlen. Unser Signal ist seit einer halben Stunde absolut identisch mit dem der Täter. Wir laufen synchron. Ich denke, wir können es riskieren.« Eine gewisse Selbstgefälligkeit lag in Meierinhos Stimme. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Seine Hände klopften seine Taschen ab. Sein Blick fiel auf die Zigarettenschachtel, die neben der Tastatur lag. Er schüttelte die Packung und verzog das Gesicht. »Verdammt. Keine Zichten mehr. Ich gehe welche besorgen. Bin gleich wieder da.«
Er stand auf und zog sich seine Jacke über.
»Tun Sie das, Herr Meier. Es dauert sowieso noch einige Zeit, bis wir loslegen können. Ich muss mich vorher noch um den Störsender kümmern, der das Signal der Täter blockiert.«
Meierinho verließ den Raum.
Kapitän zur See Wolfgang Härter zog sein Cryptophone aus der Tasche und rief den Chef seines Stabes an. Der brachte ihn kurz auf den neuesten Stand der AWACS-Überwachung.
Die Yakovlev war zunächst an der europäischen Atlantikküste entlang nach Norden geflogen. Über dem Ärmelkanal hatte sie kurz nach Westen gedreht. Ihre Route zeichnete einen Teil der englischen Küstenlinie nach. Später hatte das Flugzeug den Kurs wieder nach Osten korrigiert und war der niederländischen Küste gefolgt. Danach hatte die Maschine die deutsche Bucht und die Nordseeinseln überflogen. Schließlich war sie in den dänischen Luftraum eingedrungen. Kurz darauf hatten die Geiselnehmer einen weiteren Richtungswechsel vollzogen und flogen nun auf den Nordatlantik hinaus.
»Dem Gegner bleibt eigentlich nur noch ein Ziel: Die wollen in Island runtergehen«, schloss sein Stabschef den Bericht. Der Kapitän verabschiedete sich und wählte sofort die nächste Nummer.
Das Gespräch mit dem Bundeskanzler dauerte nur wenige Minuten. Härters Informationen deckten sich mit denen des Regierungschefs. Eine Einsatzeinheit der GSG 9 war bereits Richtung Reykjavik in der Luft. Die Verhandlungen mit der isländischen Regierung waren problemlos verlaufen.
Der Bundeskanzler war mit den Vorschlägen seines Sonderermittlers einverstanden und ließ unverzüglich entsprechende Authentifizierungscodes an das NATO-Hauptquartier in Brüssel übermitteln.
Keine drei Minuten später sprach Wolfgang Härter mit dem NATO-Oberbefehlshaber über eine gesicherte Leitung. Die Autorisierung aus Berlin lag dem amerikanischen Vier-Sterne-General bereits vor. Härter beschrieb sein Anliegen in knappem Military English. Der General versprach, ihn sofort mit dem zuständigen NATO-Offizier zu verbinden. Während Härter darauf wartete, dass dieser sich meldete, dachte er über die Flugroute der Täter nach.
Was hatte dieser Rundflug über Europa zu bedeuten? Und was wollten die Täter in Island? Von dort konnten sie nicht entkommen. Und untertauchen konnten sie dort auch nicht. Er hatte damit gerechnet, dass die Täter nach Afrika fliegen würden. Somalia. Rechtsfreier Raum. Oder in einen der sogenannten Schurkenstaaten. Iran. Nordkorea. Auch an Weißrussland hatte er gedacht. Aber Island? Hatte er irgendetwas übersehen?
Im Hörer seines Cryptophones knackte es. Das vertraute digitale Rauschen. Dann hörte er eine ihm unbekannte Stimme. Ein Amerikaner.
Als Wolfgang Härter klar wurde, mit wem er da sprach, zollte er der Organisation der NATO im Stillen Respekt. Er hatte genau den Mann am Telefon, den er jetzt brauchte:
Konteradmiral James »Steamin’ Jim« Tiberius.
*
Der kommandierende Offizier der Carrier Strike Group 12 stand auf der Admiralsbrücke im zweitobersten Deck der Insel des Flugzeugträgers mit der Rumpfnummer CVN 65, dem Funkrufzeichen November-India-Quebec-Mike und dem bezeichnenden Spitznamen »The big E«.
Die zusammengekniffenen Augen des Admirals blickten über das beleuchtete Flugdeck. Die Schaumkronen der grauen Dünung des Nordatlantiks fluoreszierten in der Dunkelheit. Steuerbord querab waren die Positionslichter des Kreuzers »Gettysburg« zu erkennen. James Tiberius hörte konzentriert auf das, was der Deutsche ihm zu sagen hatte. Mehrfach nickte er, wobei er immer wieder zustimmend brummte.
»Positiv, Sir!«,
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