Oktoberfest
Frankfurt starten.
Als er durch das kleine Flughafengebäude ging, fiel ihm der Mann sofort auf. Ein Europäer, Mitte fünfzig, kräftige Statur, in teuren Touristenklamotten.
Der Mann stand mutterseelenallein vor der Galerie geschlossener Schalter des afrikanischen Provinzflughafens. Seine Blicke fuhren dennoch unruhig durch die Halle, als warte er auf etwas. Seine Hände massierten einander krampfhaft. Seine Züge verrieten große Anspannung. Der Mann wirkte so verzweifelt, so sorgenvoll, dass Angelo Invitto als guter Katholik beschloss, ihn zu fragen, ob er ihm irgendwie helfen könne.
Er konnte.
*
Mit energischen Bewegungen zog Dr. Wladimir Kusnezow sein Gurtzeug stramm. Er sah zur Druckschleuse. Gerade wurde seine Gepäckbombe abgeworfen.
Zweiundzwanzig Männer waren bereits abgesprungen. Jeder mit eintausendeinhundert Gramm der Beute. Als Führungsoffizier und Verantwortlichem für chemische Kampfstoffe stand Dr. Kusnezow mehr zu. Seine rechte Hand strich über das Päckchen, das er vor der Brust trug.
Zehn Kilogramm Diamanten.
Sein Fallschirm wurde ihm auf den Rücken geschnallt. Er überprüfte sein Atemgerät. Wie alle vor ihm würde auch er einen HALO-Sprung durchführen. HALO stand für high altitude, low opening. Der Absprung erfolgte aus siebentausendfünfhundert Metern Höhe. Der Fallschirm öffnete sich erst neunhundert Meter über dem Boden. Jeder von ihnen hatte zur Übung fünf dieser Sprünge absolviert.
Seine Flucht war auch sonst gut vorbereitet.
Auf ihn wartet eine große Finca und ein bewirtschafteter Weinberg in Spanien. Er hatte das Haus und den Grund bereits vor einem Jahr gekauft und renoviert. Die Geschäftsführer des Weinbergs und der Kellerei hatte er vom Vorbesitzer übernommen. Einen schönen Rotwein kelterten sie auf seinem Land. Er hatte sich öfter im nächsten Ort sehen lassen und in den Kneipen ein paar Runden spendiert. Ein billiger Trick, um sich beliebt zu machen, aber ein wirkungsvoller.
Er freute sich auf sein ruhiges Leben auf dem Lande.
Ein Leben in unermesslichem Reichtum.
Nachdem seine Ausrüstung vollständig angelegt war, setzte er seine Sauerstoffmaske auf und öffnete die Tür zur Druckschleuse. Er hatte sich in aller Eile von seinen langjährigen Kameraden verabschiedet. So sah es der Plan vor. Nach dem Ende der Operation einzeln abspringen und jeden Kontakt untereinander vermeiden.
Die Vorbereitungen für das Leben nach der Operation hatte jeder für sich getroffen.
Dr. Kusnezow passierte die Druckschleuse und erreichte die offene Gepäckluke. Fauchender Wind umgab ihn. Nur mit Mühe konnte er sich auf den Beinen halten.
»Über uns sind nur die Sterne«, murmelte er und stürzte sich in die bodenlose Leere.
Während er fiel, behielt er den Höhenmesser an seinem Arm ständig im Auge. Unterhalb der Wolkendecke erkannte er vertraute Orientierungspunkte. In der Abenddämmerung gingen die ersten Lichter an. Er sah zwei Dörfer und im Norden sein eigenes Haus.
Ja, er hatte sich ein hübsches Fleckchen Erde ausgesucht.
Eviva España!
Er kontrollierte, ob der Peilsender seiner Gepäckbombe funktionierte. Alles in Ordnung. Das Gepäck war in einem Feld neben der Straße runtergekommen. Er würde ganz in der Nähe landen können.
Der Höhenmesser zeigte zweitausendeinhundert Meter an.
Noch zwanzig Sekunden, bis sich der Fallschirm öffnen würde.
Dr. Kusnezow raste mit sechzig Metern pro Sekunde der Erde entgegen.
Noch elfhundert Meter.
Noch eintausend.
Neunhundert.
Jetzt!
Los!
Der automatische Auslösemechanismus versagte. Dr. Kusnezow griff nach der Reißleine, um den Schirm manuell zu öffnen. Nichts geschah. Seine rechte Hand suchte und fand die Reißleine des Ersatzschirms. Verzweifelt zerrte er an der Schlaufe, aber das Paket auf seinem Rücken blieb verschlossen.
Ihm war, als würde die Zeit stehenbleiben. Als wäre er aus sich herausgetreten und würde sich von außen beobachten, sah er sein Leben in kristalliner Klarheit: Niemand würde ihn vermissen. Niemand würde um ihn weinen. Auf der anderen Seite aber warteten die Opfer seiner Gifte schon auf ihn, um ihn bis vor die Tore der Hölle zu geleiten. Er glaubte, ihre Stimmen hören zu können.
Dr. Wladimir Kusnezow durchlebte fünfzehn Sekunden der Reue, die sich für ihn zu einer Ewigkeit zu dehnen schienen. Dann schlug er auf.
Der ungebremste Aufprall zerbrach ihm jeden Knochen im Leib.
19:03 Uhr
Alois Kroneder bemühte sich um einen sachlichen Tonfall, konnte jedoch den Vorwurf
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