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Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Titel: Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer&Meyer GmbH & Co.KG
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alte Hund, Gott hab ihn selig, und nichts für ungut«, sagte mir Rasou Jahre später beim Laubbrennen in wodkaseliger Vertrautheit, »mit der vermaledeiten Fallsucht, an der er gestorben ist, nach den freudlosen Jahren mit deinem Duckmäuser-Vater und deiner grantigen Großmama, gell, da muß es ihm eine Genugtuung gewesen sein, sie, ihn, unddie Schwiegertochter mit drei Waisenbündeln schmachten zu sehen. Nur dich, dich hat er bestimmt nicht gern allein zurückgelassen, Wasja, mein Junge.«
    Ich nickte und prostete ihm zu. Laß es nicht wiederkommen.
    Ich brenne das Laub und lasse den Rauch vom Westwind verwirbeln. Das Laub brennt sich schöner in der Dämmerung.

István hätte man mich nennen sollen
    István hätte man mich nennen sollen. Stepan, Stafan, Steven, Étienne, Stefan, Esteban.
    Nach Großpapa hätte man mich nennen sollen. Weil ich ein Versehen, nein, ein Unfall war. Denn eigentlich war ich als Mädchen geplant. Großpapa hat sich ein Mädchen gewünscht, Großmama hat sich ein Mädchen gewünscht, Vater hat sich ein Mädchen gewünscht, nur meiner Mutter war schon alles egal, wenn nur diese elende Zeit, für zwei zu essen, für zwei zu kotzen und zwei zu tragen, endlich vorüber wäre. Dann bin ich doch ein Junge geworden. Und die Familie hat sich entschlossen, wohl oder übel auf Blau umzustellen.
    Ein Mädchen. Wäre ich das Mädchen geworden, das sie erwartet hatten, was wäre uns alles erspart geblieben, was wäre uns allen erspart geblieben! Ziehen sich durch die Geschichte doch die nicht erspart gebliebenen Männerferkeleien! Was hatten wir nicht schon alles überleben müssen, nur weil aus Männern keine Frauen geworden sind! Und jetzt hatten wir also mich.
    István. Man hätte ein Zeichen setzen, das Kind mit dem falschen Chromosomen den edelsten aller Namen, einen Königsnamen!, tragen lassen können. Als kleinen Willkommensgruß. Wie ein Sedativum verabreicht, damit ich nächtens besser schliefe. Man hat sich anders entschieden. Aus purer Enttäuschung haben Großpapa, Großmama und Vater sich anders entschieden, und weil Mutter auch nochzur standesamtlichen Eintragung alles egal war, wenn nur das Kind bald irgendeinen Namen erhielte und mit dem Schreien aufhörte, hat es einen Namen erhalten. Irgendeinen. Nur nicht István.
    Wasil: das war die Lesart der Großmama. Wasilij die des Großpapa. Er duldete eben keinen belarussischen Separatismus im eigenen Haus. Vater nannte mich »Plärrkopf«, oder »Blag«, auch »Bub«, aber nur, wenn die Menge Wodka ausgereicht hatte, ihn milde zu stimmen. Mutter hat mich viel zu selten überhaupt gerufen, als daß ich mich erinnerte, wie ich für sie hieß. Und für meine Tantchen hörte ich schon immer auf den Kosenamen Wasja.
    Ich besaß früh ein Charaktergesicht. Leider eben nur das Gesicht. Die geschürzte Oberlippe stammt von der Familie meiner Großmama, der Rote Sándor hatte eine einzigartige Oberlippe, eine umgestülpte Pyramide mit Spitze irgendwo im Rachenraum. Dagegen ist die furchtsam verkleinerte Unterlippe ein mütterliches Erbe. Den Rest muß man sich nur noch als Dreingabe vorstellen, die dem ganzen keine Würze mehr gibt, und auch keine Verfeinerung.
    Was die Natur nicht vorangelegt hatte in meinem Körper, das hat das Leichtathletik-Training besorgt. Die Einsamkeit des Kurzstreckenläufers? Es gibt nichts Besseres, die Gedanken abzutöten, als 200, 300 Meter lange Sprints, Sprints, bis die Oberschenkel hart, eins werden mit der Grasbahn und alle Kraft sich in einen winzigen Punkt unterhalb der Schädeldecke zusammenzieht. Ich bin einzig zu dem Zweck gewachsen, Sprinter zu werden.
    »Noch zehn, zwölf Zentimeter«, schwatzte Jefim Abramawitsch, mein Lauftrainer, ich weiß nicht, auf welche meiner Hirnregionen er von oben beschwörend einsprach, »noch zehn, zwölf Zentimeter, dann hast du Gardemaß für die Zweihundert-Meter. Erst kommt die Spartakiade, und dann machen wir einen Olympioniken aus dir. Nach Minsk werden sie dich holen und nach Moskau, und dann siehst du bald auch London, Paris und New York.«
    Aber dann, dann war ich mit einem Mal in Minsk, und man hatte glatt vergessen, mich zu fragen, was ich denn sportlich noch erreichen wollte. Und als man mich nach Moskau hätte holen sollen, lag das bereits in einem anderen Land, und eine so große und allgemeine Verwirrung begann sich unser zu bemächtigen, daß die Leichtathletik das letzte war, woran wir dachten.
    Freilich stürzte mich Vater in die allererste große Verwirrung

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