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Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Titel: Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer&Meyer GmbH & Co.KG
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dein Ernst. Du ziehst nicht schon das erste Mal um.«
    »Das ist mein Ernst. Ich hab in Ungarn so lange allein gelebt, ich kann das Zimmer nicht mehr mit einem 18jährigen Möchtegern-Bisnessman teilen. Ich hab auch schon eine Wohnung, die Devisen machen’s möglich. Scheiße gelegen, klein, aber mein. Du solltest mich bei Gelegenheit besuchen kommen. Und zieh das kleine Schwarze an.«
    Tanja schüttelte den Kopf, lachte empört auf, dann kurbelte sie die Scheibe herunter und warf die Kippe aus dem Auto. Sie hielt den Kopf ganz von mir abgewandt. Wir schwiegen. Ich sah, wie sich eine Träne, winzig klein, von ihren Wimpern löste. Dann hörte ich sie laut ausatmen:
    »Was mach ich hier bloß? Ich weiß, daß ich darunter nur leiden werde. Das wird ein Schrecken ohne Ende. Was mach ich hier bloß?«
    Ich nahm ihre Hand, küßte sie, jeden Finger, ich schmeckte Salz und Eisen auf meinen Lippen. Dann zog ich ihr Gesicht nah an meines und begann, das kleine Rinnsal zwischen Auge und Kinn mit der Nasenspitze entlangzufahren.
    »Das glaubst du nicht wirklich, Tanja. Laß uns miteinander nicht mehr leiden als wir ohne einander gelitten haben. Jetzt nicht mehr.«
    Als meine Lippen ihr Schlüsselbein entlangfuhren, hatte sie niedergerungen, womit sie kämpfte. Sie warf sich über mich, warf ihr Haar auf mich, wir zerrten an unseren Kleidern, als wären es Rüstungen, und das Scheppern der Blechdosen, die unsere Schuhe beiseite traten, war klingender Stahl. Wir öffneten die Visiere, wir sahen einander in die Augen, die ganze Zeit über, um uns zu vergewissern: Das bist du, Tanja, und das bist du, Wasja. Als ich ihr das Kleid herabzog, kuppelten wir versehentlich aus und rollten anderthalb Meter, bis wir wieder zum Stehen kamen, und Tanja, die noch immer auf mir saß, schlug mit dem Kopf so vehement gegen das Dach, bis sich dort ein kupferroter Schatten bildete. Ineinander verschlungen robbten wir dem Rücksitz zu, die Vordersitze ließen sich nicht klappen, ich war dankbar über meine halbwegs intakte Bauchmuskulatur, wir lagen nicht, wir standen nicht, es war eine Liegestütze, zweimal griff Tanja nach der Halteschlaufe über dem Rücksitz, und zweimal griff sie dabei in alte Bananenschalen. Im Gewimmel unserer Glieder hatte ich plötzlich Bilder von meinem Tauchgang vor Augen, selbst der Kopfschmerz klopfte einen Moment an meiner Schädeldecke, dann verhedderte sich meine Hose im Werkzeugkasten, ich stieß mir eine Zehe an einem Kugelgelenkabzieher blutig, und kam vorzeitig, meine Lippen fest auf Tanjas gepreßt. Was folgte, war Handarbeit, von ihr selbst dirigiert, eine leise Symphonie, wie mir schien, bis sie mich auf einmal mit schreckgeweiteten Pupillen ansah, zweimal laut aufstöhnte, und dann, meine Finger abwehrend, herumfuhr. Sie verkrallte sich in meinem Haar und zog meinen Kopf auf ihre Brust. Ich konnte Tanjas stoßweise gehenden Atem hören, die Zigaretten seufzten leisein den Bronchien nach, ich spürte ihr Herz, es schlug gegen meine Schläfe, oder es war meine Schläfe, die gegen ihr Herz pochte. Meine Zehen stocherten in einer kleinen Blutlache. Ich wußte nicht, was ich in diesen Augen gesehen hatte, in Tanjas Augen, bevor sie kam. Ich bekam Angst vor diesen Augen. Angst vor ihrer Angst. Vor dem, was sie erblickt haben mochte. Vielleicht war es ein Schrecken ohne Ende, der jetzt vor uns lag.
    Als ich den Kopf hob, sah ich, daß sie eingenickt war. Ich blies ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Tanja lächelte flüchtig, dann ermunterte sie sich, sagte: »Scheiße, so eine Scheiße, die Kleine«, griff nach ihrem Kleid, und warf es sich rasch über.
    »Ich fand’s auch schön«, hörte ich mich sagen, ihre nervöse Geschäftigkeit beleidigte mich. Tanja hauchte mir einen Kuß auf die Wange und rutschte auf den Fahrersitz.
    »Laß mich ans Steuer, das geht jetzt schneller, du kannst deine Sachen während der Fahrt zusammensuchen.«
    Das Visier war wieder unten, die Rüstung angetan, das Schwert gegürtet. Ich nickte. Von Überrumpelung konnte schon nicht mehr die Rede sein. Tanja hatte meine Burg genommen und übte Siegerjustiz.
    »Gibst du mir eine Zigarette?«
    Sie fuhr schnell. Bremste einige Male vor Einmündungen, an denen rechts oder links andere Autos standen, bremste so hart, daß ich, mühsam damit beschäftigt, in meine Hose zu kommen, mit den Ellenbogen gegen das Handschuhfach stieß, dann, als sie wieder anfuhr, in den Sitz zurückfiel. Mein Erstaunen, mein leiser Groll verflogen, ich mußte

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