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Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Titel: Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer&Meyer GmbH & Co.KG
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Hündchen. Auch wenn es zwischen uns schon längst nicht mehr um die Erpressung ging. Beide hatten wir aufgehört, nach einem anderen Weg zu suchen. Oder nach einem anderen Menschen. Keiner wollte oder konnte dem anderen das Remis anbieten. Wir suchten, wir schlugen den in Feuchte erstarrten, klebrigen Leib des anderen.
    Tatsiana hatte endlich ihr Studium aufgenommen. Onkel Janka war gestorben, das Wetter hatte dem Neunzigjährigen den Garaus gemacht. Tanja und Marya hatte er zu Erbinnenerklärt. (Lesja tobte.) Viel sei es nicht, sagte mir Tanja am Telefon, aber ausreichend. Ich konnte meine Zahlungen an die beiden einstellen. Sie hatten mich zuletzt einen Gutteil meines Gehalts gekostet.
    Im Juni hatte der Präsident wieder einmal eine Wahl gewonnen. Natürlich hatte er das. Dafür sorgten schon die Pensionisten, die die Hitzewelle überlebten. Wahrscheinlich hätte er es auch ohne Fälschungen geschafft, aber er war sowjetische Ergebnisse gewöhnt. Und sechzig Prozent schienen ihm nach wie vor eine Splittergruppen-Mehrheit.
    Immer mehr Oppositionelle verschwanden. Dann gingen auch ehemalige Weggefährten des Herrn Präsidenten in die Sommerfrische, um nie wieder zurückzukehren. Es schien, als wollte er sich und seine Vergangenheit neu schreiben. Als nächstes wäre dann die Vergangenheit unseres Staates dran.
    Auf dem Oktoberplatz war die obligatorische Menge zusammengekommen, um gegen das Procedere der Wahl zu demonstrieren, beobachtet und flankiert von den obligatorischen Polizisten und Geheimdienstlern und wenigen, säuerlich dreinblickenden Kameraleuten ausländischer Fernsehstationen, die von Mailand oder Madrid träumten, aber mit Minsk hatten vorlieb nehmen müssen. Ohne ihre Ausrüstung erkannte man sie daran, daß sie nicht gegen Hauswände pinkelten.
    Es sei eine regelrechte Zeltstadt, hatte mir ein Kollege verschwörerisch zwischen zwei Schluck Kaffee in der Redaktion zugeflüstert. Davon konnte nicht die Rede sein. Was ich sah, erinnerte mehr an das traurig gelichtete Haupthaar des führenden Oppositionellen. Wo der Kreis der Demonstranten am dichtesten stand, fand ich Stanislau. Sein Blondschopf überragte die Menge.
    »Du traust dich, hierherzukommen? Hast du keine Angst, daß dich jemand aus der Redaktion sehen könnte?«
    »Sowieso nur eine Frage der Zeit, bis mich Bublik rauswirft. Aber schön, daß wenigstens du an meine Karrierefähigkeit glaubst.«
    »Du weißt, daß ich an dich glaube, früher oder später – « »Ja, die Wette«, sagte ich und wischte mir den Schweiß von der Stirn, »ich hab schon mal leichtfertig oder leichtgläubig so eine Wette verloren, Stas. Solange ihr euren freien Markt anbetet, werde ich nicht den Weihrauch dazu schwingen. Wenn man’s schon im Guten zu nichts bringt, soll man im Schlechten nicht alles verpatzen.«
    »Schreib das unserem Herrn Präsidenten.«
    »Was macht die Promotion, Stas?«
    »Sag bloß, das weißt du noch nicht? Hat dir Tanja nichts gesagt?«
    Ich stutzte. Tanja? Weshalb sollte mir Tanja etwas über Stas erzählen? Das letzte Mal, als die beiden zusammengekommen waren, hatte sie gerade aufgehört, mit ihren Puppen Sprechstunde zu spielen. Ich sah, wie Stanislaus Hände zitterten, er versuchte, sich mit einem Feuerzeug eine Zigarette anzuzünden (er war endlich von Belamorkanal abgekommen, halleluja!), aber er schlug nur kleine Funken aus dem Zündstein, schüttelte es, schlug Funken, er gab auf und sah mich mit einem sehr belämmerten Gesichtsausdruck an, die trockene Kippe zwischen den Lippen.
    »Ich bin raus. Sie haben mich relegiert.«
    »Das hab ich nicht gewußt. Ehrlich, Stas, tut mir leid.« »Schon in Ordnung«, sagte er. Er hatte von einem der Umstehenden Streichholzbriefchen bekommen, mehr als er hätte tragen können.
    »Schon in Ordnung. Oder magst du darüber schreiben?Darüber, daß schon wieder Gesinnungswissenschaft in diesem Land betrieben wird?«
    »Ach komm, Gesinnungswissenschaft betreiben sie im Westen doch auch.«
    »Aber da halten sie sich an gewisse Prinzipien.«
    »Die sie vorher selbst aufgestellt haben. Wie einen Meilenstein, einen für alle Zeiten und Landstriche gültigen Weg zum politischen Heil. Die machen sich ja nicht einmal Gedanken über ihre Vorurteile.«
    »Dann schreib doch darüber, was gestern hier auf dem Oktoberplatz passiert ist.«
    »Was ist denn passiert?«
    Das sei doch in aller Munde gewesen, ereiferte sich Stas: Alte Frauen waren herbeigeströmt und hatten Suppen und böse wie gute Worte gebracht,

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