Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Titel: Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer&Meyer GmbH & Co.KG
Vom Netzwerk:
Redaktionsräumen anwesend.
    Als ich sein Büro betrat, rief er:
    »Ja, Scheißdreck!«
    Er deutete auf das an seinem linken Handgelenk befestigte Blutdruckgerät, und erläuterte:
    »Diese Scheißdreckshitze, diese verreckte Scheißdreckshitze bringt mich noch um. Hier, den ganzen Vormittag schon. Ach, jetzt – «
    Den linken Zeigefinger zur Obacht hebend, drückte er einen leise piependen Knopf mit dem Zeigefinger der Rechten. Er hielt einen Moment inne, die Zahlen, die er schwarz auf grün vor sich sah, wiederholte er, sie sprudelten nur so aus seinem Mund.
    »Ach, 180 zu 110, das geht ja, geht ja, das ist nicht so schlecht, nicht so schlecht, vorher war ich schon mal bei 160 zu 100, aber dann auch wieder bei 190, bei über 200. Bei dieser Hitze und dieser«, er wies um sich, »Scheißdreckshektik, Scheißdreckshektik.«
    Er riß das Gerät abrupt von seinem Handgelenk und legte es in eine Hartplastikkassette. Bei jeder noch so kleinen Bewegung,die von den Leibeswölbungen des Redakteurs auf seinen Schreibtisch und von dort auf die Kassette überging, plusterte sich die Manschette des Geräts von selbst auf, mit einem leise stampfenden Geräusch, dem ein freches Blöken folgte. Es klang nach einem Teddybären, der soeben aus dem Schlaf der Jahrzehnte gerüttelt worden war.
    Ich begann, mit seinem Locher zu spielen, testete vorsichtig dessen Durchschlagskraft an meinem Daumennagel.
    »Sehen Sie, es geht um die neue Kulturleitlinie. Es geht um die Entwicklung, Bildung und Mehrung der sittlichen Grundlagen des Volksgeschmacks.«
    Aus dem Augenwinkel sah ich, daß Bublik ablas. Er hatte einen Stapel Blätter vor sich hingelegt, auf die ich nun selbst einen Blick werfen wollte. Er ließ mich gewähren.
    »Wir müssen den Menschen etwas Positives geben. Gerade jetzt, vor den Wahlen. Etwas, das sie mit Freude erfüllt. Mit Hoffnung. Sowas in der Art. Ja, Hoffnung, schreiben Sie, schreiben Sie mir etwas mit Hoffnung. Das kann ich sehen.«
    Ich besah mir den Mechanismus des Lochers genauer. Von Zeit zu Zeit nickte ich. Ich wollte nicht unhöflich erscheinen.
    »Oder auch etwas Heiteres. Aus dem Alltag. Das können Sie, das kann ich sehen. Glossen. Warum Frauen nicht einparken können. Und Männer nie zuhören. Hahaha, das ist gut, was?«
    Bublik hörte abrupt auf zu lachen. Testweise hatte ich einige seiner Unterlagen gelocht. Er starrte auf die Papiere in meinen Händen. Ich starrte zurück.
    »Was denn eigentlich für eine neue Kulturleitlinie?« fragte ich. Behutsam legte ich die Papiere zurück auf den Schreibtisch.
    »Na, Sie sind gut. Lesen Sie die eigene Zeitung nicht?«
    Ich schwieg.
    »In Zeiten, in denen der Westen unser Land mit seinem Warenkonsumismus vergewaltigt, brauchen wir eine Ideologie. Wie ein Schild soll sie sein. Nein, eher wie das Immunsystem. Um den Körper unseres Landes rein zu halten. Und gesund.«
    »Ach so, das meinen Sie. Glückliche Arbeiter, Industriegeschichten. Sozialistischer Realismus. Klar, da hab ich noch was rumliegen. Ich ändere einfach das Datum.«
    Er zog laut Luft durch die Nase ein, sah mich mit spitzem Mund an.
    »Ich weiß nicht genau, ob wir uns eben recht verstanden haben?!«
    »Einwandfrei prima. Bis wann brauchen Sie das? Zehn Minuten? Viertelstunde?«
    Unter seinem prüfenden Blick, unter der Hasenscharte, die sich merklich nach links neigte, deuteten seine beiden geöffneten Hände plötzlich eine erst einwärts, dann auswärts gehende Scheibenwischerbewegung an.
    »Aha. Da habe ich doch noch Termine. Und wir zwei waren ja auch fertig miteinander?!«
    Er griff zum Telefonhörer, versohlte mit einer Hand noch eben dessen Sprechmuschel, nölte:
    »Meinethalben schreiben Sie etwas aus der Industrie, nur optimistisch muß es sein. Heiter. Denn – ja – «, nun den rechten Zeigefinger zur Obacht hebend: »… ja, jahaaa, Bublik, Staraja Gasjeta, mein lieber Herr Professor, ja, jahaaa, danke, ja – «, und ich war nicht mehr gemeint, obwohl er dem ein: »Hallo? Hallo? Scheißdreck!« hinterherschickte, und: »Schon wieder getrennt, was machen die zur Zeit mit den Scheißdrecksleitungen?«
    Ich lenkte meinen Schritt bereits zur Tür, als Bublik noch einmal meinen Namen rief. Ich drehte mich zu ihm um, sein Blick ging durch mich hindurch zum entfernten Ende der Stadt und dem Gebäude der (Scheißdrecks-)Telefongesellschaft. Nach dutzendfachem Drücken der Wiederwahltaste an der japanischen Telefonanlage rief er:
    »Das kann ich sehen: Schreiben Sie etwas Heiteres,

Weitere Kostenlose Bücher