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Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Titel: Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer&Meyer GmbH & Co.KG
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quakend, den Luftraum über uns. Zum wiederholten Male. Kein Gewässer weit und breit. Ich fragte mich, in welche geheimen Unternehmungen das Biest verwickelt war. Wenigstens war es kein wilder Schwan.
    Marya schmiegte ihren Kopf in die Kuhle zwischen meiner rechten Schulter und meiner Brust. Das Gitter der Parkbank drückte gegen meinen Rücken. Egal. Ich würde meine, unsere Position nicht verändern, um keinen Preis. Ich inhalierte den Duft ihres Haars. Es roch nach frischem Teer, Pfeffer, Damaszenerrosen. Ich fragte mich, wie sie es geschafft hatte, den spätsommerlichen Staub und die Minsker Abgase von ihm fernzuhalten.
    Es war ein Donnerstag. Sie hätte in der Schule sein müssen, aber sie hatte darauf gedrängt, nach Minsk zu kommen. Alles in mir hatte darauf gedrängt, dem nachzugeben, auch wenn ich ihr am Telefon gesagt hatte:
    »Geh in die Schule. Vergiß es.«
    »Holst du mich vom Bahnhof ab?«
    »Vergiß es, Manja.«
    »Halb zwei.«
    »Manja?«
    »Ich komme, so oder so. Zur Not auch zu Fuß.«
    »Ok. Halb zwei. Aber du kannst nicht bei mir übernachten.«
    Bevor sie auflegte, hörte ich ihr Lachen in einem metallischen Echo ausklingen.
    Wir fuhren vom Bahnhof aus quer durch die Stadt. Ich wußte noch immer nicht, ob es überhaupt so etwas wie eine Sehenswürdigkeiten-Tour gibt. Minsk ist keine Stadt der Sehnsucht. Marya bat mich, sie an die Orte zu bringen, die Budapest in irgendetwas ähnelten. Ich schlug die Kanalisation vor.
    Wir landeten ziemlich weit im Westen, in einer städtischen Brache, verschwatzten, veralberten, verdösten den Abend.
    »Was ist das eigentlich für ein seltsames Verhältnis zwischen dir und meinen Schwestern? Was treibt ihr all die Jahre?«
    »Das ist eine ziemlich lange Geschichte, Manja.«
    »Zu lang, um sie zu erzählen?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Dann schreib sie auf. Schreib sie. Für mich.«
    Wieder das oboenartige Husten an den Himmeln. Diesmal in entgegengesetzter Richtung. Und so hingen unsere Blicke, gerade in dem Moment, da ein erster Kuß fallen hätte können, unisono am Himmel, am lose zeternden Entenpostillon.
    Wir fuhren zur Njamiha, stopften uns mit Bliny voll, bis uns schlecht wurde. Um uns her die Idiotie einer Pubertierenden-Selbstfindung mit Klingeltönen und MTV Russia. Was mochten sie gedacht haben? Daß da eine von ihnen mit ihrem Papa saß? Manja rollte mit den Augen, warf mir Blicke zu.
    »Ich muß hier raus, das sind dieselben Idioten wie an meiner Schule«, sagte sie. Sie hakte ihre Hände in meinen Gürtel ein, zog mich vom Sitz, schob mich vor sich her, um mich schneller und effektiver wegtransportieren zu können. Vielleicht in eine Disco, dachte ich. Nein. In meine Wohnung. Ich hörte mich nicht einwilligen. Aber auch nicht Nein sagen.
    Ich begann, Bücher für sie herauszusuchen. Wir lasen sie quer, stundenlang, lagen auf dem Boden vor dem Regal. Dann hakte Marya aufs neue ihre Hände in meinen Gürtel ein, diesmal von vorn. Sie versuchte, mich spielerisch vom Boden zu heben.
    »Mein Gott, Wasja, was bist du schwer! Du schleppst noch immer das ganze Zeug mit dir rum, das ich dir aufgeladen habe, nicht wahr?«
    »Ja. Das. Und ungefähr zwei Zentner Fett und Kohlehydrate.«
    Ihre Pupillen wurden groß. Wieder war da dieser Raubtierblick.
    »Was denkst du, Manja?«
    »Laß mich dich jetzt befreien. Ich kann das.«
    »Fast forward. Und was denkst du noch?«
    »Ich denke, du denkst, daß ich jetzt gleich wieder sagen werde, daß ich mit dir schlafen möchte.«
    »Möchtest du?«
    »Denkst du das?«
    Ich rollte mit den Augen, um ihrem Blick nicht weiter zu begegnen.
    »Glaub mir, das möchtest du nicht«, sagte sie. Sie ahmte meinen tiefen Brummton nach. Begann zu grinsen.
    »Hör auf zu grinsen, Manja.«
    Sie grinste noch breiter.
    »Und überhaupt: Sex wird überschätzt.«
    Sie lachte, und die beiden Muttermale an ihrer Kehle lachten mit ihr.
    »Das erste Mal ist sowieso immer Scheiße«, sagte ich. Ich zog sie näher an mich.
    »Dann freue ich mich schon aufs zweite Mal, Wasja.«
    Die Annäherung an Marya verlief stufenweise. Oder eher: häppchenweise, um meinem: »Ich suche deinen Mund« gerechter zu werden.
    (Und wie ich ihn suchte! Und wie oft. Wie intensiv ihre Lippen nach dem schmeckten, was sie zuletzt gegessen hatte. Karottensalat. Bliny.)
    Um vier Uhr hatten wir einander müde geküßt. Wir rochen nach Nacht. Marya schlief, angezogen, als müßte sie einen langen Winter überdauern, in altgeschichtlicher Begräbnisstellung(Höcker) auf

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