Oliver Hell - Das zweite Kreuz
von den Bildern, die in den braunen Umschlägen gesteckt hatten. Das Team und die Leute von der KTU, die die Umschläge untersucht hatten.
Und Lessenich sowie seine Leute. Aber weder Lessenich, noch seine Truppe hätte die Eier, einen solchen Brief an Lea zu schicken. Wozu auch?
Was wiederum das Unwahrscheinliche wahrscheinlicher machte. Agayer war noch am Leben. Aber was wollte er von Lea? Rache nehmen? Warum dann die Fotos? Wollte er es genießen? Sie quälen? War das seine Art? Nein. Agayer war kein Sadist. Immerhin hatte er für ihn die Rettung bestellt. Er hätte ihn auch liegenlassen können. Er hätte ihn sogar vorher durch Guseinov töten lassen können. Aber er hatte Guseinov erledigt, ihm, dem Bullen das Leben gerettet. Welcher Kriminelle tat so etwas? Die Polizei war dabei, die ganze Bande auffliegen zu lassen. Das wäre eine übliche Tat gewesen. Den Bullen zu killen, der dafür verantwortlich war. Stattdessen rettet er ihm das Leben.
Hell überlegte weiter. Wer würde so handeln? Jemand der aussteigen wollte. Jemand, der nicht mehr töten wollte. Vielleicht hatte Lea Rosin Recht. Er wollte sie damals nicht töten. Aber wollte er es jetzt?
Da er sich die Frage nicht beantworten konnte, rief er Tim Wrobel bei der KTU in Bonn an mit der Bitte, den Umschlag sofort zu untersuchen, wenn Lea Rosin ihn vorbeigebracht hätte. Der gab ihm das Versprechen, ihn zeitnah zu informieren, wenn es ein definitives Ergebnis gäbe.
Dann legte er sich in dem Sessel zurück. Der Beruf ließ ihn wirklich nicht einen Tag aus den Klauen.
Seitdem er eine Beziehung mit Franziska Leck, der Frankfurter Profilerin führte, versuchte er sich die Wochenenden frei zu halten. Gegenwärtig saß er gerade in ihrer Frankfurter Wohnung. Am heutigen Abend war ein Theaterbesuch geplant. Theater. Das hatte Hell in Bonn oft genug, aber nicht in einem geschlossenen Gebäude, sondern im Job.
Es war jetzt Anfang März. Seit Mitte Januar war er wieder im Dienst. Ohne nennenswerte Belastungen verspürt zu haben. Es gab keine Fälle, die seine Anwesenheit in Bonn auch über die Wochenenden erforderlich gemacht hätten. Sein Team hatte ihm auch den Rücken frei gehalten. Die Verletzungen, die er im November erlitten hatte, als sie Mashad Agayer und Ufuk Badak gejagt hatten, waren ihm noch anzusehen. Die Narbe auf seiner Stirn war zwar blasser geworden, aber sie erinnerte ihn jeden Morgen daran, dass er sterblich war. Viele tiefgreifende Gespräche mit Franziska Leck hatten ihn wieder an der Seele gesunden lassen, doch war er sich darüber im Klaren, dass er seinen Beruf nicht mehr als einzigen Lebensinhalt, sondern als Beruf ansehen würde. Sein Privatleben würde einen größeren Rahmen bekommen. Alleine die Tatsache, dass sein Sohn seit einigen Wochen bei ihm wohnte, hatte seinen Tagesablauf bereits verändert. Jedes zweite Wochenende war nun Franziska bei ihm. Es war so etwas wie Normalität in sein Leben getreten.
Das jahrelange Singleleben war vorbei. Mit einem Schmunzeln erinnerte er sich daran, wie armselig seine Versuche gewesen waren, Franziska Leck seine Gefühle zu offenbaren. Beinahe wäre er auch in ihrem gemeinsamen Urlaub an der Nordsee wieder gescheitert, wenn sie nicht die Initiative ergriffen hätte.
„ Du alter Esel“, hatte sie gesagt: „Wie lange willst Du noch um den heißen Brei herumreden?“
Eingemummelt in Decken, saßen auf der Veranda ihres Ferienhauses. Er hatte ihr gerade berichtet, wie sehr er sich darauf freute, dass sein Sohn bald zu ihnen stoßen würde. Hell hatte sie verdutzt angeschaut.
„ Was?“
„ Du verstehst mich schon ganz gut, Kommissar Hell. In Herzensdingen bist Du alles andere als hell. Wie lange soll ich dich noch anschmachten, bis ich den ersten Kuss von dir bekomme?“
Augenblicklich war ein Schwarm Schmetterlinge in seinem Magen zu einem Versuchsausflug gestartet. Er schaute ihr in die Augen.
„ Nicht mehr lange“, hatte er gesagt, und sich dann zu ihr herübergebeugt. Wie ein verliebter Teenager hatte er sich in den darauffolgenden Tagen gefühlt.
Doch jetzt gerade hatte er ein ungutes Gefühl im Magen.
Mashad Agayer war wie ein Geist aus der Flasche plötzlich wieder in seinen Gedanken präsent.
Als er ein Geräusch aus dem Flur hörte, stand er auf um Franziska zu begrüßen. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn auf den Mund.
„ Hallo, mein Schatz“, sagte er, doch sie bemerkte sofort an seiner Stimme, dass etwas nicht so war wie sonst.
„ Was ist?“ sie
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