Oliver Hell - Das zweite Kreuz
auch vergessen wollen“, sagte er mit gespieltem Bedauern.
Die Pressekonferenz dauerte ganze fünf Minuten. Gauernack und Hell saßen nebeneinander wie zwei Boxer kurz vor ihrem Schauwiegen. Dort entstanden dann meist diese Fotos, die in den nächsten Stunden um die Welt gingen. Zwei Männer mit versteinerten Mienen, die sich durchdringend in die Augen schauten. Das taten Gauernack und Hell nicht, sie vermieden es sogar.
Der Staatsanwalt wollte Hell das Wort übergeben, doch täuschte der in dem Moment geschickt einen Hustenanfall vor und ließ sich ein Glas Wasser geben. Bis dahin hatte Gauernack begonnen, die spärlichen Erkenntnisse an die wartende Journalistenmeute zu verfüttern. Mehr, als das es zwei Entführungen gab, deren Handschrift sich ähnelte, konnte er nicht weitergeben. Die Journaille war damit natürlich nicht zufrieden. Es gab diverse Zwischenfragen, die sich um Lösegeldforderungen und um die Vergangenheit und eventuelle Gemeinsamkeiten der Entführten drehten. Hell kippte den Hals des biegsamen Mikrofons zu sich herüber. „Aus ermittlungstechnischen Gründen können wir zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei weitere Erklärungen abgeben. Sicher haben Sie Verständnis dafür. Vielen Dank.“
Er schaltete das Mikro aus, schaute kurz zu Gauernack herüber und stand auf. Hastig folgte ihm der Staatsanwalt, dabei fiel beinahe der Stuhl um, auf dem er gesessen hatte. „Hell“, rief er, „Auf ein Wort.“
Oliver Hell blieb stehen. „Ja.“ Sein Ton war ruppig. Das Letzte, worauf er jetzt Lust hatte, war ein erzwungenes Gespräch mit Gauernack. Er zweifelte daran, dass ihm der Mann etwas Freundliches zu sagen hatte.
Gauernack trat dich an ihn heran. Für Hells Geschmack zu dicht.
„ Hell, wir sind beide Profis. Ich möchte an ihre Loyalität erinnern. Dieser Fall hier scheint größere Dimensionen anzunehmen. Wir müssen zusammenarbeiten. Kann ich mich auf Sie verlassen?“ Seine Stimme klang irgendwie dünn und kraftlos.
Sein sensibles Gespür, auf das er sich schon immer verlassen konnte, sagte ihm, dass der Staatsanwalt mehr Angst in der Hose hatte, als ein Bungee-Springer vor seinem ersten Sprung. Er hatte es noch nie gemocht, wenn man ihm so dicht auf die Pelle rückte, daher trat er einen Schritt zurück.
„ Ja, Herr Staatsanwalt. Ich bin ein Profi. Und ja, ich werde meine Arbeit tun. War’s das?“
„ Ja, das war’s wohl“, sagte Gauernack beleidigt.
Hätte ich andere Worte finden sollen? Hell hielt sich nicht lange mit dem Gedanken auf. Da er die Frage für sich selber verneinen konnte, ging er. Hell war sicher, dieses Geplänkel war reine Taktik und Kalkül.
Gauernack blieb zurück.
*
Sie hatte sich auf die andere Seite gedreht, um besser atmen zu können. Abwechselnd waren beiden Nasenlöcher verstopft. Sie konnte nicht schlafen. Seit dem Gespräch mit Lea hatte sie immer ihre eigene Einsamkeit im Kopf.
Einsamkeit.
Klauk hatte ihr eine SMS geschickt mit dem Inhalt: „Danke, Chris, jetzt habe ich es auch“. Darauf hatte sie nicht geantwortet. Wenn er sich bei ihr ansteckte, dann trug sie doch keine Verantwortung dafür. Sie war enttäuscht über seine Reaktion. Doch in Wahrheit war das nur der Gipfel des Eisberges.
Hätte sie jemanden an ihrer Seite gehabt, der zu ihr gehört, dem wäre es egal gewesen, ob er sich bei ihr angesteckt hatte oder nicht. Wenn man krank war, dann war man auf sich gestellt. Jemand, der eine warme Suppe oder einen Tee kochte, das war dann der Himmel. Doch so ein kleiner, privater Himmel war ihr nicht vergönnt. Umso mehr packte sie jetzt das Gefühl der Einsamkeit. Und da es ihr sowieso schon schlecht ging, ließ sie das Gefühl Besitz von sich ergreifen. Es half ja nicht, sich selber etwas vorzumachen.
Sie verdrängte den Gedanken, den Briefkasten zu kontrollieren. Seit zwei Tagen hatte sie das nun nicht mehr getan. Meinhold griff nach ihrem Handy, schaute darauf und ließ es direkt wieder fallen.
Ein Tapetenwechsel. Das wäre es jetzt. All den Ballast hinter sich lassen und ein paar Tage die Beine baumeln lassen. Oder noch besser ein paar Wochen. Karibik. Sonne. Palmen. Wohlige Wärme auf der Haut. Salzwasser. Einen entspannten Tauchgang in kristallklarem Wasser. Sie würde keinen Anfängerkurs mehr belegen müssen. Den hatte sie bereits in Ägypten gemacht. Sharm el Sheik. Zwei Wochen lang jeden Tag tauchen und abends die Annehmlichkeiten des Hotels genießen.
Nach Ägypten zu reisen fiel jetzt flach. Nach der Revolution vor zwei Jahren
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