Oliver Hell - Das zweite Kreuz
kam das Land nicht zur Ruhe. Wie beinahe in ganz Nordafrika gab es unterschiedliche Ansichten zur politischen Ausrichtung des Staates. Die regierende Partei der Muslim-Brüder wollte so wenig Einfluss aus dem Westen zulassen wie möglich. Dabei war diese Partei noch gemäßigt ausgerichtet. Man orientierte sich zwar an den islamischen Gesetzen, doch ein islamischer Gottesstaat mit der Einführung der Scharia war nicht ihr Ziel. Das wiederum befürworteten andere politische Gruppierungen. In deren Denken war für westliches Kulturgut kein Platz mehr. Auch nicht für die Touristen. Kurzfristig gedacht, aber so war es.
Ägypten war politisch instabil. In der Innenstadt von Kairo und in anderen Städten Ägyptens kam es seit Monaten immer wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen. Vor diesem Hintergrund wurde daran erinnert, dass Reisenden in Ägypten allgemein dringend empfohlen wurde, Menschenansammlungen und Demonstrationen - insbesondere im zeitlichen Umfeld zum Freitagsgebet - weiträumig zu meiden und die Medienberichterstattung sehr aufmerksam und regelmäßig zu verfolgen.
Vor dem Hintergrund der prekären wirtschaftlichen und sozialen Situation weiter Teile der Bevölkerung war in den letzten Monaten ein genereller Anstieg der Allgemein-Kriminalität, wie Banküberfälle, Car-Jackings, sowie auch vermehrt Handtaschenraub, zu beobachten.
Daher lag die Tourismusbranche darnieder. Eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landes, wenn nicht die Wichtigste.
Anschläge auf Hotels und Touristenziele gab es zuletzt im Februar zweitausendneun. Anschlags- und Entführungsrisiken, unter anderem für touristische Ziele, an denen regelmäßig westliche Staatsangehörige verkehren, konnten aber nicht ausgeschlossen werden. Dies galt aktuell insbesondere vor dem Hintergrund des deutschen Engagements in Mali. In den nordafrikanischen und den südlich an die Sahara grenzenden Ländern wuchs die Gefahr des islamistischen Terrorismus und krimineller Übergriffe. Sowohl kriminelle Banden, als auch die al-Qaida im Maghreb suchen derzeit gezielt nach Ausländern zum Zwecke der Entführung. Gerade auch deutsche Staatsangehörige waren einer deutlich ansteigenden Anschlags- und Entführungsgefahr ausgesetzt.
Kein Reisender, der einigermaßen Hirn hatte, fuhr jetzt noch nach Ägypten. Es war viel zu gefährlich und unsicher. Vor allem für Frauen. Es gab Berichte über öffentliche Nötigungen an Frauen. An muslimischen Frauen wohlgemerkt, keine Touristinnen. Doch reichte das bereits aus, um die Buchungszahlen in den Keller sinken zu lassen. Sicher gab es Angebote, sehr günstig sogar zum Schnäppchenpreis. Doch wollte sie kaum einer wahrnehmen. Verständlich.
Das Auswärtige Amt hatte eine Reisewarnung ausgegeben. Reisen nach Ägypten sollten bis auf weiteres auf den Großraum Kairo, Alexandria, die Urlaubsgebiete am Roten Meer, die Touristenzentren in Oberägypten, insbesondere Luxor, Assuan, und ebenfalls die Nilkreuzfahrten, sowie auf geführte Touren in der Weißen und Schwarzen Wüste beschränkt werden. Von Reisen in die übrigen Landesteile wurde aufgrund der nach wie vor unübersichtlichen und unsteten Sicherheitslage weiterhin abgeraten, dies gilt insbesondere für den Sinai – dort mit Ausnahme der Touristenorte am Roten Meer im Küstenstreifen zwischen Sharm-El-Sheikh und Nuweiba.
Das linke Nasenloch war jetzt wieder frei, jetzt ging das rechte zu. Sie wälzte sich aus dem Bett und beschloss sich im Internet ein wenig auf den Urlaubsbörsen umzutun. Selbst wenn sie nichts buchen wollte, so lenkte das ein paar Momente von der Grippe ab. Und von den trüben Gedanken. Nachdem sie erneut heißes Wasser aufgesetzt hatte, fuhr sie den Rechner hoch. Ein paar Minuten setzt sie sich mit einer dampfenden Tasse Erkältungstee auf den Stuhl vor den Rechner. Sie öffnete ihr Mailaccount. Der war völlig zugemüllt mit Spam-Mails. Sonst dachte niemand an sie.
Meinhold trank enttäuscht ihren Tee, nahm Nasentropfen und schlüpfte langsam in ihre bequeme Jogginghose. Sie schlich durch den Hausflur, bei jeder Stufe hatte sie Angst, dass ihr Schädel vor Schmerz platzte. Hämmern. Unten angekommen öffnete sie den Briefkasten. Und da war er. Der Brief von der Staatsanwaltschaft. Sie riss den Brief auf und las die Nachricht einmal und dann ein weiteres Mal. Darin stand, dass in drei Wochen der Prozessauftakt im Verfahren gegen Daniel Hesse sein würde.
Der Auftakt war bisher mehrfach verschoben worden. Eigentlich hätte er
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