Oliver Hell - Das zweite Kreuz
geknebelt worden war.
Der Mann mit den stechenden Augen hatte sie hinter der Türe zur Garage sofort gepackt, und ihr etwas vor die Nase gehalten. Ein stechender Geruch nahm ihr sofort den Atem. Daher war ihre Abwehr nur noch schwach ausgefallen. Für den Bruchteil einer Sekunde fiel ihr Blick auf den fremden Wagen in ihrer Garage. Woher kam dieses Fahrzeug? Sie hatte mit rudernden Armen versucht ihn zu packen, sich gegen den Geruch zur Wehr zu setzen.
Vergebens.
Wie lange sie bereits in der Dunkelheit lag, konnte sie nicht sagen. Die gesamte Situation versetzte Sie in Panik. Der Mann hatte sie mit einem Namen aus ihrer Vergangenheit angesprochen. Längst vergessen. Längst verdrängt. Vergraben im Nebel der Erinnerung. Woher kam dieser Mann? Woher hatte er sein Wissen? Wer hatte so tief im Dreck der Geschichte gewühlt? Etwas riss sie aus dem Grübeln.
Sie lauschte.
Ein Geräusch.
Eine Türe öffnete und schloss sich. Jemand trat an sie heran, stellte sie grob auf die Beine. Sekunden später saß sie auf einem Stuhl. Ein grelles Licht flackerte auf und blendete sie. Sie spürte einen heftigen Schmerz in den Augen, die sich nicht so schnell an die Helligkeit gewöhnen wollten. Sie sah schemenhaft eine Gestalt mit einer Kamera vor sich. Ein Blitz. Geblendet schloss sie die Augen. Noch ein Blitz, sobald sie die Augen wieder öffnete. Sie wandte sich ab. So schnell, wie es aufblendete, so schnell erlosch das Licht wieder. Unsanft wurde sie vom Stuhl gezerrt und wieder auf den Boden geworfen. Die Türe schloss sich erneut. Ihre Gelenke schmerzten.
Stille.
Dann ein Stöhnen.
*
Die Stimmung im Besprechungsraum war mehr als angespannt. Zum größten Teil lag es sicher an der Anwesenheit von Staatsanwalt Gauernack. Klauk und Rosin wussten nichts von dem Gespräch zwischen dem Staatsanwalt und Kommissar Hell. Dennoch war die Spannung zwischen den beiden Männern körperlich zu spüren. Rosin fühlte sich körperlich unwohl. Sogar sehr. Zuviel Testosteron lag in der Luft.
Jetzt warteten sie auf Dennis Seib, der die vorläufigen Ergebnisse der KTU aus der Villa Lindemann präsentieren wollte. Bei Gauernack hatte das Telefon nicht stillgestanden. Die Presse wollte Informationen. Informationen, die sie nicht hatten.
Vielleicht nachdem Seib ein wenig Licht in das Dunkel der vertrackten Geschichte gebracht hatte. Doch ließ der noch auf sich warten.
Als er endlich die Türklinke in der Hand hielt, atmete der ganze Raum innerlich auf.
Ohne darauf zu warten, dass sich der Mann gesetzt hatte, bombardierte Gauernack ihn sofort mit der Frage: „Was haben Sie für uns, Seib? Und sagen sie jetzt nicht, dass Sie noch keine Ergebnisse haben.“
Seib war nicht auf den Mund gefallen, doch fühlte auch er sich unwohl.
„ Ja, Herr Staatsanwalt, wir haben bisher wirklich sehr wenige gesicherte Erkenntnisse.“ Er räusperte sich.
„ Lassen Sie sich doch nicht alles aus der Nase ziehen, Seib. Los!“ Gauernack ruderte mit seinen Armen.
„ Also, was wir sagen können ist: Bislang hat es keinen Anruf mit einer Lösegeldforderung gegeben. Eine Entführung scheint aber durch die Indizien belegt, vorzuliegen. Wir haben eine Flasche mit Chloroform gefunden, wir haben ein damit getränktes Tuch gefunden, an dem sich Epithelzellen der Vermissten befanden. Wir haben eine Vergleichsprobe aus ihrem Kamm und ihrem Rasierer genommen. Es besteht kein Zweifel. Wenn sich niemand einen Spaß erlaubt hat, dann haben wir es mit einer Entführung zu tun.“
Gauernack schaute ihn giftig an wegen des Nachsatzes. „Ist das alles? Was ist der Stand im Fall Olbrichs? Was soll ich der Presse sagen?“, fragte er. Gauernack wusste genau, dass er besser nicht nach Olbrichs gefragt hätte. Den entsprechenden Blick von Hell ignorierte er einfach.
Seib blickte sich unsicher um. Mit der Frage konnte er nichts anfangen. Er lieferte die Ergebnisse, die Pressearbeit machten andere.
„ Wir sagen der Presse, dass aufgrund des bisherigen Ermittlungsstandes keine detaillierten Auskünfte erteilt werden können. Basta. Das wird der Herr Staatsanwalt sicher für uns wortgewandt wie immer verkaufen, nicht wahr?“, sagte Hell listig.
Gauernack schaute sich um. Wortlos. Dann stand er auf.
„ Ich habe die Pressekonferenz für siebzehn Uhr anberaumt. Ich rechne mit ihrem Erscheinen, Herr Kommissar“, sagte er und ging aus dem Raum.
Rosin und Klauk schauten ihm hinterher. „Da ist aber einer mächtig angepisst“, sagte Rosin.
Hell erzählte den Kollegen den
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