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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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zu Mund, von hunderten von Stimmen wiederholt. Einige schrien nach Leitern, andre nach Hämmern und Äxten, andre rannten mit Fackelbrändenauf und nieder, wie um nach Werkzeugen zu suchen, andre wieder drängten sich wie die Wahnsinnigen vor, den Tumult nur noch vergrößernd. Einige der Verwegensten machten den Versuch, an den Dachrinnen und Mauerrissen in die Höhe zu klettern. Die Köpfe wogten wie ein Kornfeld, das von einem Sturm gepeitscht wird, und von Zeit zu Zeit gellte ein Wutschrei empor, von allen auf einmal ausgestoßen.
    »Als ich gekommen bin, war Flut«, sagte Sikes und schloß die Fenster wieder. »Gebt mir rasch einen Strick. Sie sind alle vorne. Ich lasse mich unterdessen hinten in den Graben hinunter. Schnell einen Strick her, oder ich lad’ mir noch drei Mordtaten aufs Gewissen.«
    Vor Schrecken fast gelähmt wies Chitling in einen Winkel, in dem Tauwerk lag. Hastig wählte Sikes einen der stärksten Stricke aus, eilte eine Treppe hinauf und stieg aufs Dach.
    Die rückwärtigen Fenster des Hauses waren schon seit Jahren zugemauert, nur eine kleine Dachluke nicht, die zu dem Raume führte, wo Charley Bates eingeschlossen lag. Ununterbrochen rief jetzt der Junge aus dieser Öffnung herab der Menge zu, alle Seiten des Hauses zu überwachen, und als daher der Mörder in der Dachluke auftauchte und oben am Giebel sich zeigte, ertönte von allen Seiten Triumphgeschrei, so daß er sah, er werde nicht entrinnen können.
    »Jetzt haben wir ihn!« schrie ein Mann von der Brücke in die Menge hinein. »Hurra!«
    Einen Augenblick wogte eine Wolke von Hüten aus der Menschenmasse, und wieder wuchs das Gebrüll an.
    »Wer ihn lebendig faßt, kriegt fünfzig Pfund«, rief ein alter Herr, der ebenfalls auf der Brücke stand, so laut er konnte. »Ich bleibe hier und warte.«
    Ein Ruf mischte sich in das allgemeine Geschrei: das Haustor sei endlich erbrochen, und daß der Herr, der zuerst nach einer Leiter gerufen hätte, ins Zimmer hineingeklettert wäre. Der Menschenstrom staute sich sofort, wie diese Meldung von Mund zu Mund ging. Alles wälzte sich zu dem Fleck hin, den es vorhin verlassen hatte. Jeder wollte in die Nähe der erbrochenen Türe gelangen, um den Verbrecher sehen zu können, sobald ihn der Polizist herausbrächte.
    Infolge des furchtbaren Gedränges wurde die Aufmerksamkeit von der Person des Mörders einen Augenblick abgelenkt.
    Sikes, der, ein paar Minuten fast gelähmt durch den Anblick der rasenden Menge, unschlüssig dagekauert hatte, nahm sofort die günstige Gelegenheit wahr. Er sprang auf die Füße und beschloß, den letzten Rettungsversuch zu wagen und sich, selbst auf die Gefahr hin, im Schlamm zu ersticken, hinab in den Sumpfgraben zu lassen, um dann mit Hilfe der Dunkelheit und der allgemeinen Verwirrung zu entkommen. Die Hoffnung gab ihm neue Kraft, und der wilde Lärm, der immer näher und näher kam im Hause, sagte ihm, daß es höchste Zeit sei. Mit zwei Sätzen war er beim Schornstein des Giebels, legte ein Ende seines Strickes darum und hatte im Nu an dem andern eine starke Laufschlinge geknüpft, so daß er sich fast bis auf Manneslänge herablassen konnte. Dann nahm er sein Messer in den Mund, um es zur rechten Zeit bei der Hand zu haben, das Seil durchzuschneiden und sich in den Sumpfgraben fallen zu lassen.
    In demselben Augenblick, als er sich die Schlinge über den Kopf zog, um sie unter den Armen zu befestigen, rief der erwähnte alte Herr wieder laut in die Menge hinein, sie möchten auf die Rückseite des Hauses achtgeben. In diesemMoment blickte Sikes hinter sich und stieß einen lauten Schrei des Entsetzens aus.
    »Wieder die Augen!« gellte er mit einer Stimme, die aus einer andern Welt zu kommen schien, taumelte, verlor das Gleichgewicht und stürzte über den Giebel die Mauer hinab. Die Schlinge faßte ihn am Halse, zog sich infolge des Falles straff zusammen, und Sikes stürzte fünfundzwanzig Fuß tief ab. Ein entsetzlicher Ruck, dann hing er regungslos, das Messer noch immer in der erstarrten Faust, zwischen Himmel und Erde.
    Der alte Schornstein erbebte unter dem Anprall der Erschütterung, aber er hielt aus. Der tote Mörder pendelte hin und her, und Charley Bates stieß die schaukelnde Leiche, die ihm die Aussicht benahm, beiseite, und rief der Menge unten zu, sie sollte doch um Gottes willen heraufkommen und ihn befreien.
    Sikes’ Hund, der bis jetzt verborgen irgendwo gelegen hatte, lief mit einem schrecklichen Geheul auf dem Dach hin und her, und

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