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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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sie haben seine langen Beine gesehen und haben ihn erwischt.«
    »Und Betsey?«
    »Ach, die arme Betsey, die ist sich die Leiche ansehen gegangen, und bei ihrem Anblick hat sie so den Verstand verloren, daß sie sich den Schädel hat einrennen wollen. Dann haben sie ihr eine Zwangsjacke angelegt und sie ins Irrenhaus gebracht. Sie ist noch immer dort.«
    »Was ist aus Charley Bates geworden?« fragte Kags.
    »Er kommt, sobald es dunkel wird. Er hat sich versteckt. ›Die drei Krüppel‹ sind voll Polizisten.«
    »Heut’ wird noch so mancher dran glauben müssen«, brummte Toby und biß sich auf die Lippen.
    »Es ist gerade Schwurgerichtssaison«, erzählte Kags. »Und wenn der Bolter gegen Fagin aussagt, so hängt der Jud’, noch ehe die Woche um ist.«
    »Wenn ihr bloß gehört hättet, wie die Leut’ gebrüllt haben«, klagte Chitling. »Die Polizisten haben sich wehren müssen aus Leibeskräften, sonst hätte ihnen die Menge den Juden aus den Händen gerissen. Er war schon ganz voll Blut und Dreck und hat sich an die Polizisten geklammert,als ob sie seine besten Freunde wären. Sie haben ihn in die Mitte genommen, und das Volk hat geschrien wie besessen, daß es ihm das Herz aus dem Leibe reißen möchte.«
    Entsetzt und schweigend saßen die drei ein paar Minuten da, da hörten sie ein Geräusch auf der Treppe, und gleich darauf sprang Sikes’ Hund in die Stube. Er mußte zum Fenster hereingesprungen sein, aber sie konnten es sich nicht erklären wieso; vielleicht war irgendwo noch eine Öffnung vorhanden? Sie spähten durch die Fenster hinab: Sikes war nirgends zu sehen.
    »Was hat das zu bedeuten?« fragte Toby. »Hierher wird Sikes doch nicht kommen wollen. Ich will’s nicht hoffen.«
    »Wenn er die Absicht hätte, wäre er mit dem Hund zugleich gekommen«, meinte Kags und bückte sich zu dem keuchenden Hund nieder. »Gib ihm ein bißchen Wasser. Er ist zum Verrecken müd’, scheint mir.«
    »Er hat alles bis zum letzten Tropfen ausgesoffen«, sagte Mr. Chitling, nachdem er den Hund eine Zeitlang schweigend gemustert. »Das arme Vieh muß einen langen Weg gemacht haben, es ist fast lahm.«
    »Er« – niemand, auch Toby nicht, nannte Sikes beim Namen – »kann sich doch nicht um die Ecke gebracht haben. Was meint ihr?« fragte Chitling.
    Toby schüttelte den Kopf.
    »Wenn er das getan hätte«, brummte Kags, »würde uns der Hund zu seiner Leiche hinführen. Nein, ich glaube, er ist übers Wasser hinüber und hat den Hund zurückgelassen.«
    Es wurde allmählich finster, sie schlossen den Fensterladen, zündeten eine Kerze an und stellten sie auf den Tisch. Dann rückten sie ihre Stühle enger aneinander und schreckten zusammen bei jedem Geräusch, das hörbarwurde, und wenn sie sprachen, geschah es nur im Flüsterton, denn sie schienen von Furcht und Schrecken fast gelähmt. Eine Weile hatten sie so dagesessen, da klopfte es plötzlich heftig an der Türe unten.
    »Es wird Charley Bates sein«, sagte Kags und schüttelte sich, um seine Angst niederzukämpfen.
    Abermals klopfte es. Nein, das könne Bates nicht sein, der klopfe anders. Toby Crackit ging zum Fenster und zog gleich darauf blaß den Kopf wieder zurück. Die andern errieten sofort, wer draußen stand und geklopft hatte. Crackits Miene sagte es ihnen deutlich. Sofort stand auch der Hund auf und lief winselnd zur Türe.
    »Wir müssen ihn hereinlassen«, murmelte Crackit, nahm die Kerze und kam bald darauf mit einem Menschen zurück, der kaum mehr Sikes glich, sondern eher wie ein Geist aussah. Die Wangen fahl, die Augen erloschen und tiefliegend, und Kinn und Wangen voll Bartstoppeln.
    Sikes wollte sich auf einen Stuhl am Tisch setzen, dann schauderte er und schob den Stuhl an die Wand.
    Keiner der Anwesenden hatte ein Wort gesprochen. Als Sikes endlich das Stillschweigen brach, schreckten die andern drei sichtbar zusammen.
    »Wie ist der Hund hier ins Haus gekommen?« fragte Sikes.
    »Allein. Vor ein paar Stunden.«
    »In der Zeitung steht, sie hätten Fagin erwischt; ist das wahr oder aufgeschnitten?«
    »Wahr.«
    Wiederum Schweigen.
    »Hölle und Teufel«, fuhr Sikes plötzlich auf und wischte sich mit der Hand über die Stirne. »Habt ihr mir denn gar nichts zu sagen?«
    Die andern rückten nur stumm hin und her.
    »Wollt ihr mich vielleicht ausliefern«, krächzte Sikes zu Crackit gewandt. »Oder was ist eigentlich? Laßt ihr mich hier, bis die Hetze vorbei ist?«
    »Kannst schon bleiben, wenn du willst«, antwortete Toby

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