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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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stockend. »Eigentlich nicht so besonders.«
    »Du wirst dich schon dran gewöhnen«, tröstete Sowerberry. »Es wird schon ganz gut gehen, wenn du dich nur erst mal dran gewöhnt hast, Bursche.«
    Oliver dachte darüber nach, wie lange es wohl gebraucht haben mochte, bis sich Mr. Sowerberry an dergleichen gewöhnt habe. Er unterdrückte jedoch die Frage und ging stumm in den Laden zurück.

SECHSTES KAPITEL
    Oliver rafft sich, durch Noah gereizt, zu tatkräftigem Handeln auf
     
    Als der übliche Probemonat vorüber war, wurde Oliver in aller Form als Lehrling ins Geschäft eingestellt. Es war gerade sozusagen Sterbesaison, und nach Särgen herrschte rege Nachfrage. Die ältesten Einwohner der Stadt konnten sich nicht erinnern, daß jemals die Masern so gewütet hätten, wie es gerade der Fall war. Da Oliver von jetzt an auch bei den meisten Begräbnissen erwachsener Personen im Zuge mitzugehen hatte, um die nötige Gleichgültigkeit in Haltung und Gebärden zu lernen, die einem richtigen Leichenbestatter unbedingt nötig sind, so fand er gar oft Gelegenheit, die bemerkenswerte Standhaftigkeit zu bewundern,mit der gewisse Leute, die sich eines starken Gemüts erfreuten, Verluste an Bekannten, Freunden und Verwandten zu tragen wußten.
    Befremdlicherweise wirkten solche Beispiele von Resignation nicht ansteckend auf Oliver Twist; er kam vielmehr nicht aus der Verwunderung heraus. Trotzdem ertrug er geduldig monatelang die schlechte Behandlung von seiten Noah Claypoles, der immer gehässiger gegen ihn wurde, da er sich zurückgesetzt fühlte und kaum mitansehen konnte, wie Oliver, der jüngere Lehrling, tagaus, tagein im schwarzen Rock und Flor ausrücken durfte, während er, der Senior, sich mit Pelzkappe und Lederhose begnügen mußte. Charlotte behandelte Oliver schlecht, weil Noah ihn schlecht behandelte, und Mrs. Sowerberry war seine ausgesprochene Feindin, weil Mr. Sowerberry eher dazu neigte, ihn freundlich als unfreundlich zu behandeln.
    Eines Tages nun zur gewöhnlichen Mittagsstunde waren Oliver und Noah in die Küche hinabgeklettert, um sich an einer knappen Ration Hammelfleisch vom schlechtesten Nackenstück gütlich zu tun, da wurde Charlotte hinaufgerufen, und Noah Claypole, hungrig und verbittert, glaubte ihre Abwesenheit nicht besser benützen zu können, als seinen jungen Kollegen zu hänseln.
    Als Einleitung legte er die Füße auf das Tischtuch, zupfte Oliver an den Haaren, zwickte ihn in die Ohren und gab der Ansicht Ausdruck, Oliver sei ein »Kriecher«. Des weiteren gab er der Hoffnung Ausdruck, Oliver noch einmal am Galgen baumeln zu sehen, und daß es ihm auch auf den weitesten Weg nicht ankommen werde, falls einmal dieses ersehnte Ereignis eintreten sollte. Da aber alle diese hämischen Versuche, Oliver zum Weinen zu bringen, fehlschlugen, fing Noah Claypole an, immer dicker und dicker aufzutragen.
    »Zuchthäusler!« rief er endlich. »was macht übrigens deine Mutter?«
    »Sie ist tot«, sagte Oliver, »sprich nicht von ihr.«
    Das Blut stieg ihm in die Wangen, und seine Lippen zuckten seltsam. Noah Claypole hielt das für ein Vorzeichen, daß Oliver gleich in Tränen ausbrechen würde, und machte eine neue Attacke.
    »Woran ist sie denn gestorben, Zuchthäusler?« fragte er.
    »An gebrochenem Herzen, hörte ich die alte Wärterin sagen«, murmelte Oliver, mehr zu sich selbst sprechend als zu seinem Kollegen. »Ich glaube, ich verstehe, was das heißt.«
    »A was, dummes Zeug, Zuchthäusler«, sagte Noah, während eine Träne Oliver über die Wange lief. »Was hat dich denn so plötzlich zum Flennen gebracht?«
    »Ach nichts«, erwiderte Oliver, sich schnell die Augen trocknend. »Du brauchst dir nichts darauf einzubilden. Aber schweig jetzt, das rat ich dir.«
    »Was? Raten tust du’s mir?« rief Noah. »Ist das eine Frechheit! Na, und deine Mutter, das war auch so die Rechte.« Dabei nickte er hämisch mit dem Kopf und rümpfte seine kleine rote Stülpnase.
    »Du tust mir ja leid, du Armenhäusler«, fuhr er, durch Olivers Schweigen kühn gemacht, höhnisch mit erheucheltem Mitleid fort. »Aber es läßt sich mal nicht mehr ändern. Du kannst ja auch nichts dafür und dauerst mich ja von Herzen. Aber deine Mutter war halt – na, du weißt schon was.«
    »Was sagst du da!« fuhr Oliver auf.
    »Na ja, so eine ganz Schlechte«, erwiderte Noah kaltblütig. »Für dich war es wohl das beste, du Armenhäusler, daß sie rechtzeitig ins Grab gebissen hat, sonst wär sie jetzt im Zuchthaus oder

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