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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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glaube, sie müßte sich ganz vortrefflich durchführen lassen.«
    Mrs. Sowerberry, die in geschäftlichen Dingen einen großen Scharfblick besaß, erkannte sofort, daß der Gedanke ebenso vorzüglich wie neu war. Da sie sich aber in ihrer Würde nichts vergeben wollte, fragte sie nur spitz, weshalb denn ihr Herr Gemahl eine so naheliegende Idee nicht schon längst gehabt habe. Mr. Sowerberry, der dies ganz richtig als eine Zustimmung zu seinem Vorschlag deutete, ordnete demgemäß an, daß Oliver unverzüglich in die Mysterien des Leichenbestattergeschäfts einzuweihen sei und bereits bei der nächsten Gelegenheit einem Begräbnis beizuwohnen habe.
    Die Gelegenheit ließ nicht lange auf sich warten. Bereits am nächsten Morgen, ungefähr eine halbe Stunde nach dem Frühstück, erschien Mr. Bumble im Laden, lehnte seinen Stock gegen die Werkbank, zog ein großes ledernes Notizbuch aus der Tasche, entnahm diesem einen kleinen Zettel und überreichte ihn Mr. Sowerberry.
    »Aha«, sagte der Sargtischler mit freudiger Miene. »Eine Bestellung für Särge, wie?«
    »Vorläufig nur für einen Sarg«, bestätigte Mr. Bumble, »und außerdem für ein Gemeindebegräbnis.«
    »Baiton?« las der Leichenbestatter von dem Zettel ab und blickte Mr. Bumble fragend an. »Den Namen habe ich früher noch niemals gehört.«
    Mr. Bumble nickte. »Eine widerspenstige Bande, Mr. Sowerberry, eine sehr widerspenstige Bande. Hochfahrend, sag’ ich Ihnen, nicht zu glauben.«
    »Hochfahrend, wie?« rief Mr. Sowerberry und grinste. »Aber hören Sie, das ist wirklich stark.«
    »Die Gelbsucht könnte man bekommen vor Wut«, rief der Kirchspieldiener, »amoniakalisch, kann ich Ihnen sagen, Mr. Sowerberry.«
    »Stimmt, stimmt«, pflichtete der Leichenbestatter bei.
    »Wir haben erst vorgestern abend von der Familie erfahren«, berichtete Mr. Bumble, »und auch das nur, weil eine Frau, die mit ihnen im selben Hause wohnte, beim Herrn Vorstand bitten kam, man möge den Armenarzt hinschicken, um nach einer Kranken zu sehen, mit der es sehr schlecht stehe. Der Herr Doktor war gerade beim Mittagessen, aber sein Assistent – ein verdammt schneidiger Bursche, sage ich Ihnen – hat sogleich eine Flasche voll Medizin hingeschickt.«
    »Das nenn’ ich mir gewissenhaft im Dienst«, rief der Leichenbestatter bewundernd.
    »Ja ja, ist’s auch«, versetzte der Kirchspieldiener. »Aber was glauben Sie war die Folge? Frech ist die Bande auch noch geworden. Der wertgeschätzte Herr Gemahl von der Kranken hat sagen lassen, die Arzenei paßt nicht für seine Frau, und er gibt nicht zu, daß sie so was einnimmt. Ich sag’ Ihnen, eine feine kräftige Medizin, die erst acht Tage vorher zwei irische Taglöhner und ein Kohlenträger mit bestem Erfolg eingenommen haben – und noch dazu in einer Wichsflasche, und der Kerl läßt sagen: seine Frau nimmt so was nicht.« Empört ließ Mr. Bumble seinen Stock auf den Ladentisch niedersausen und wurde rot im Gesicht wie ein Truthahn.
    »Nein so was«, rief der Leichenbestatter.
    »Jawohl, so was«, schrie Mr. Bumble. »Aber jetzt ist das Frauenzimmer tot, und da heißt’s sie unter die Erde bringen; und darum handelt sich’s jetzt. Je schneller die Sache in Ordnung ist, desto besser.« Dabei setzte Mr. Bumble seinen Dreispitz fiebernd vor Erregung wieder auf, anfangs verkehrt und erst beim zweiten Male richtig, und stürmte aus dem Laden.
    »Er hat sich so gegiftet, Oliver, daß er ganz vergessen hat, nach dir zu fragen«, sagte Mr. Sowerberry und blickte dem Kirchspieldiener nach, wie er die Straße hinunterstampfte.
    Dann setzte er seinen Hut auf und brummte: »Je schneller wir das Geschäft abmachen, um so besser. Noah, paß unterdessen auf den Laden auf. Oliver, nimm deine Mütze und komm mit.« Oliver Twist gehorchte und folgte stumm seinem Herrn.
    Eine Zeitlang schritten sie durch den belebtesten und bevölkertsten Teil der Stadt. Dann bogen sie in eine enge Gasse ein, die von Schmutz nur so starrte, und blieben stehen, um sich nach dem bezeichneten Hause umzusehen. Die Häuser auf beiden Seiten waren hoch und massig, abersehr alt, und wurden nur von den allerärmsten Leuten bewohnt, wie man zwar nicht aus ihrem vernachlässigten Aussehen erkannte, wohl aber aus dem schmierigen Äußern der paar Männer und Frauen, die gelegentlich die Mauern entlang schlichen. Ein großer Teil der Häuser hatte Läden nach vorne heraus, aber diese Läden waren fest verschlossen und hingen nur so in den Angeln. Offenbar waren

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