Oliver Twist
steht Bill Sikes, und du liegst da und schnarchst, als wenn du Laudanum gefressen hättst. Na also, was is? Bist du schon munter, oder soll ich dir noch ’nen eisernen Leuchter an den Schädel schmeißen?«
Eiligst schlurrten ein paar Schlappschuhe über die Dielen,und gleich darauf zeigte sich an einer halboffenen Türe, einen Lichtstumpf in der Hand, der bekannte Kellner der Schenke auf dem Saffronhill.
»Gott über die Welt, Mr. Sikes«, rief Barney sichtlich oder wenigstens anscheinend erfreut. »Kommen Se herein in die Stube, kommen Se doch herein.«
»Marsch hinein«, befahl Sikes, Oliver vor sich herstoßend. »Vorwärts, oder ich tret’ dir die Fersen ab.«
Sie traten in eine niedrige finstere Stube, in der ein Kaminfeuer qualmte und blakte und ein paar Stühle, ein Tisch und ein altes Sofa umherstanden. Auf diesem, die Beine weit ausgestreckt, lag ein Mann und paffte aus einer Tonpfeife. Er war gekleidet in einen schnupftabakfarbenen Anzug von modernem Schnitt mit großen Messingknöpfen daran. Ein orangefarbiges Halstuch hatte er um den Hals geschlungen, und seine Brust verdeckte eine grelle großgemusterte Weste. Die Hosen waren von schmutzigem Gelb. Mr. Crackit – so hieß der Gentleman – erfreute sich gerade nicht eines üppigen Haarwuchses, und was er noch von Haaren auf dem Kopf oder im Gesicht besaß, war von rötlicher Farbe und über die Ohren hinweg korkzieherartig gedreht. Der Mann war von mittlerer Größe und, wie es schien, was die Beine anbelangte, ein wenig zurückgeblieben. Trotzdem tat dieser Umstand der persönlichen Bewunderung seiner Stulpstiefel, die er nicht eine Sekunde aus den Augen ließ, in keiner Weise Abbruch.
»Ich freue mich, dich zu sehen, Bill, mein Junge«, sagte der Gentleman, faul den Kopf zur Türe wendend. »Hab’ schon gefürchtet, du wollest die Sache sein lassen. In dem Fall hätte ich das Risiko allein übernommen und wär’s ohne Begleitung angegangen. Hallo!«
Sein Ausdruck des Erstaunens galt Oliver. Mit einem Ruck richtete er sich auf und fragte, wer der Junge sei.
»Na eben! der Junge«, antwortete Sikes mürrisch und rückte sich einen Stuhl zum Feuer.
»Einer von Fagin seiner Leibgarde«, scherzte Barney grinsend.
»Soso, von Fagin!« rief Toby aus und blickte Oliver forschend an. »Ein Prachtbengel für die ollen Schachteln, wenn sie in die Kirche gehen. ’ne Kapitalsvisage!«
»Genug jetzt«, fiel ihm Sikes ungeduldig ins Wort, bückte sich über ihn und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr, über die Mr. Crackit laut auflachen mußte.
»So!« knurrte Sikes und setzte sich wieder zurecht. »Wenn du uns jetzt etwas zu essen und trinken geben willst, kann’s uns recht sein. Setz dich an den Ofen, Bursche, und ruh dich aus. Heute nacht mußt du dich wieder auf die Beine machen, wenn’s auch nicht mehr so weit sein wird, wie’s bisher war.«
Stumm und schüchtern blickte Oliver Mr. Sikes an, rückte sich dann einen Sessel ans Feuer und setzte sich, seinen schmerzenden Kopf zwischen die Hände gedrückt, nieder, ganz wirr von all dem, was er erlebt hatte.
»Hier«, sagte Toby, während der Jude ein paar Speisenreste und eine Flasche auf den Tisch stellte. »Prosit und Glückauf!« Dann richtete er sich ein wenig auf, füllte sich ein Glas mit Schnaps und goß es durch die Kehle. Mr. Sikes tat ein Gleiches.
»Da für den Jungen auch en Tropfen«, sagte Toby und goß ein Weinglas halb voll. »Runter damit, junge Unschuld.«
»Wirklich, Sir, – ich –«, hauchte Oliver und blickte dem Strolch mit kläglicher Miene ins Gesicht, – »wirklich, Sir, – ich –«
»Runter damit!« schrie Toby. »Meinst du vielleicht, ich weiß nicht, was dir gut ist? Sag ihm, Bill, er soll’s runtergießen.«
»Möcht’ ich dir auch geraten haben«, rief Sikes und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Teufel noch mal! Ob einem der Bengel nicht mehr Schur antut als ein ganzer Schwarm Gassenbuben! Runter damit, Galgenstrick!«
Eingeschüchtert goß Oliver hastig den Inhalt des Glases hinunter und wurde gleich darauf von einem so heftigen Husten befallen, daß Toby Crackit und Barney sich vor Lachen gar nicht halten konnten.
Als Sikes seinen Hunger gestillt hatte, – Oliver konnte nur mit Mühe eine kleine Brotrinde hinunterwürgen – streckten sich die beiden Männer auf ein paar aneinandergestellten Stühlen aus, um ein Schläfchen zu halten. Oliver durfte auf seinem Sessel neben dem Ofen sitzen bleiben, und Barney streckte sich in eine Decke
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