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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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er Unheil wittere.
    »Wo is er?« fragte er.
    Der Baldowerer deutete nach oben und fragte mit einer Gebärde, ob er hinaufgehen solle.
    »Ja«, sagte der Jude, »bring ihn erunter. Pscht, ruhig jetzt, Charley, auch du ruhig, Tom.«
    Lautlos gehorchten die beiden Gegner. Gleich darauf kam der Baldowerer mit der Kerze in der Hand die Treppe herunter, und hinter ihm schritt ein Mann in grobem Kittel herein, warf einen hastigen Blick in die Ecke, riß sich dann das Halstuch, das den untern Teil seines Gesichtes gänzlich verbarg, ab und stand mit hohlen eingefallenen Wangen ungewaschen und unrasiert als der schmucke Toby Crackit da.
    »Nu, was is, Fagin?« fragte der Gentleman und nickte dem alten Juden zu. »Leg das Tuch derweil in mein Hut nein, Baldowerer, damit ich’s gleich find, wann ich wieder weggeh. So ist’s recht! Wirst mal en feines Werkzeug sein für den alten Chochemer.« Dann zog sich der Mann einen Stuhl an den Kamin und stemmte die Füße gegen den Rost.
    »Da, schau mal her, Fagin«, sagte er und deutete betrübt auf seine Stulpstiefel, »seit Menschengedenken ist nicht einTropfen Wichse darauf gekommen. Na, friß mich nur nicht gleich auf mit den Augen, – alles, wenn’s dazu Zeit ist, – ich red nicht eher vom Geschäft, bevor ich nicht etwas zum Fressen und Saufen bekommen hab. Also raus mit dem Futter, ich bin hungrig zum Krepieren.«
    Der Jude winkte dem Baldowerer, was an Vorräten vorhanden war auf den Tisch zu stellen. Dann setzte er sich dem Einbrecher gegenüber und wartete, bis es diesem angenehm sein würde herauszurücken.
    Toby schien es damit nicht sehr eilig zu haben. Anfangs zügelte der Jude, so gut er konnte, seine Ungeduld und trachtete aus den Zügen des Einbrechers zu lesen, was es wohl Neues geben möchte. Aber Crackit sah müde und abgespannt drein, und sein Gesicht war so verschlossen wie immer. Nur hie und da schmunzelte er befriedigt.
    Jeden Bissen, den Toby hinunterschlang, verwünschte der Jude in seiner Aufregung, aber es half alles nichts. Mit größter Gleichgültigkeit fuhr Toby fort zu essen, bis nichts mehr da war. Dann schickte er den Baldowerer hinaus, schloß die Türe hinter ihm, mischte sich ein Glas Brandy mit Wasser und setzte sich dann bequem in einen Sessel.
    »Nun zuvörderst einmal, Fagin –«, begann er.
    »Ja doch, ja doch«, unterbrach ihn Fagin ungeduldig. »Also was is eigentlich?«
    Mr. Crackit tat langsam und bedächtig einen Zug aus seinem Krug, stemmte die Füße wieder gegen den niedrigen Kaminsims und fing voll Seelenruhe an:
    »Also zuvörderst einmal, Fagin, – ja richtig: was ich sagen wollte, was macht Bill?«
    »Bill?« fuhr der Jude auf.
    »Zum Teufel! Das soll doch nicht vielleicht heißen –«, stieß Toby Crackit hervor und wurde totenblaß.
    »Nu natürlich! Hier ist er nicht!« schrie der Jude undstampfte ingrimmig auf den Boden. »Also, wo stecken sie? Wo sind Sikes und der Junge? Wo haben sie sich versteckt? Warum sind sie nicht gewesen hier?«
    »Der Einbruch ist danebengegangen«, murmelte Toby.
    »Das weiß ich doch«, rief Fagin, zog eine Zeitung aus der Tasche und deutete darauf. »Also was weiter?«
    »Die Kerle drin haben geschossen und den Jungen getroffen. Eine Zeitlang haben wir ihn über die Felder mit uns geschleppt, durch dick und dünn, über Hecken und Gräben, und immer war die ganze Bande hinter uns her. Die ganze Grafschaft war auf den Beinen und die Hunde auch.«
    »Und der Junge? Und der Junge?«
    »Bill Sikes hat ihn auf den Rücken genommen und ist gelaufen wie der hellichte Satan. Dann haben wir ihn zwischen uns genommen, und kalt ist er gewesen, kalt wie ein Toter. Und die Bande rückte immer näher und näher. Da hat’s gegolten, das eigene Fell zu retten. Dann haben wir uns getrennt und den Buben halt im Graben liegenlassen. Lebend oder tot, was weiß ich.«
    Der Jude stieß einen gellenden Schrei aus, raufte sich verzweifelt das Haar und stürzte aus der Stube und aus dem Hause.

SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    Eine höchst geheimnisvolle Person erscheint
     
    Erst, als der Jude die Straßenecke erreicht hatte, fing er an, sich langsam von der Wirkung zu erholen, die Toby Crakkits Mitteilung auf ihn gemacht hatte. Aber immer noch stürmte er vorwärts, und erst das plötzliche Vorbeirollen eines Wagens und die lauten Warnungsrufe der Passanten, die bemerkten, in welcher Gefahr er schwebte überfahren zu werden, brachten ihn ganz zur Besinnung. Er vermiedvon jetzt an die Hauptstraßen und lief nur noch

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