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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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festg’halten, und dann is sie bald ohnmächtig g’worden. Sie hat schon gar keine Kraft nicht mehr. Ich habe sie ganz leicht halten können.«
    »Hat sie von dem heißen Wein getrunken, den der Herr Doktor ihr verschrieben hat?« fragte das erste alte Weib.
    »Ich hab probiert, ihr ihn einzuflößen«, versetzte die andre. »Aber sie hat die Zähne zusammenbissen wie ein Schraubstock, und den Topf hat sie so fest mit den Fingern g’halten, daß ich ihn kaum mehr hab loskriegen können. So hab ich den Wein lieber selber trunken, und er hat mir gutgetan.«
    Die beiden alten Weiber guckten sich vorsichtig um, ob sie auch nicht belauscht würden. Dann rückten sie wieder näher zum Feuer und kicherten aus vollem Hals.
    »Ich kann mich noch auf die Zeit erinnern«, sagte die erste, »wo sie’s genauso g’macht hat.«
    »Ja ja, sie hat’s nie nicht anders g’macht«, versetzte die zweite, »immer war sie froh und lustig. Und wie sie die Leichen hat schön anziehen können! Wie die Wachspuppen!Und hier mit meine alten Händ hab ich ihr oftmals geholfen. Ja ja, dös glauben S’ gar net wie oft.«
    Dabei streckte die Alte ihre zitternden Finger aus und fuchtelte triumphierend in der Luft herum. Dann wühlte sie in ihren Taschen und brachte eine alte glanzlose zinnerne Schnupftabaksdose zum Vorschein, aus der sie ihrer Kollegin ein paar Körnchen in die ausgestreckte Hand und sich ungefähr das dreifache Quantum in die eigene schüttete. In diesem Augenblick trat Mrs. Cornay zu ihnen an das Feuer und fragte kurz und scharf, wie lange sie noch warten solle.
    »Net lang mehr, Frau Verwalterin«, erwiderte die zweite Greisin und blickte von der Glut auf. »Wir brauchen net mehr lang auf den Sensenmann warten. Ja ja, wir alle nicht. Nur Geduld, er wird schon früh genug kommen.«
    »Halten Sie den Mund, Sie alberne Person«, schimpfte die Armenhausmutter. »Sie, Martha, sagen Sie mir, ist sie früher schon oft ohnmächtig geworden?«
    »Ja ja, gar oft«, war die Antwort.
    »Aber es wird sich nimmer oft mehr wiederholen, passens nur auf, Frau Verwalterin«, setzte die zweite Greisin hinzu.
    »Ob’s jetzt lang dauern wird oder nicht«, sagte Mrs. Cornay ärgerlich, »mich wird sie hier nicht finden, wenn sie aufwacht. Hütet euch, ihr beiden, und daß mich niemand mehr in meiner Ruhe stört. Es gehört nicht zu meinen Obliegenheiten im Hause, alte Weiber sterben zu sehen, und es paßt mir auch nicht, merkt euch das, ihr unverschämten alten Hexen. Wenn ihr mich nochmals zum Narren haltet, dann nehmt euch in acht, das sag ich euch.«
    Sie wandte sich zur Türe, da brachte sie ein Schrei der beiden Wärterinnen, die beide wieder ans Bett getreten waren, zum Stillstehen. Die Sterbende hatte sich aufgerichtet und reckte die Arme nach ihnen aus.
    »Wer ist das!« schrie sie mit hohler Stimme.
    »Still, still«, flüsterte die eine Greisin und beugte sich über die Kranke. »Leg dich nur wieder hin.«
    »Ich werd mich nie wieder lebendig hinlegen«, ächzte die Kranke, »ich will mit ihr sprechen. Kommen Sie, Mrs. Cornay, damit ich es Ihnen ins Ohr flüstern kann.«
    Sie faßte die Vorsteherin am Arm und wollte eben anfangen zu sprechen, da bemerkte sie, daß die beiden Greisinnen mit offenem Munde zuhorchen wollten.
    »Weg da mit ihnen«, keuchte die Sterbende, »geschwind, geschwind.«
    Mrs. Cornay schickte die beiden Alten hinaus, und die Kranke fuhr fort:
    »Hören Sie mich an«, mit wilder Anstrengung stieß sie die Worte hervor, »hier in diesem Zimmer – hier im selben Bett – hab ich einmal ein hübsches junges Weib, das sie hierher ins Haus geschafft haben, gepflegt. Ihre Füße waren mit Staub und Blut bedeckt gewesen. Sie gab einem kleinen Knaben das Leben und starb. Lassen Sie mich nachdenken – in welchem Jahre war es doch.«
    »Das Jahr tut nichts zur Sache«, unterbrach sie Mrs. Cornay ungeduldig, »was ist’s mit dem Weib?«
    »Ja doch, ja doch«, flüsterte die Sterbende, und es schien, als wollte sie wieder in Lethargie verfallen, »was ist’s doch mit ihr – was ist’s nur mit ihr – ja, ich weiß es«, rief sie wild auffahrend, und ihr Gesicht glühte; die Augen quollen ihr aus dem Kopf. »Ich hab sie bestohlen – bestohlen – ja das hab ich – sie war noch nicht kalt. Ich sag Ihnen, sie war noch nicht kalt, da hab ich sie bestohlen.«
    »Um Gottes willen, was haben Sie ihr denn gestohlen?« rief Mrs. Cornay und machte ein Gesicht, als wolle sie um Hilfe rufen.
    »Es – das einzige, was sie

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