Oliver Twist
wir den Wagen für ein paar Minuten unterstellen könnten?«
Als Brittles bejahte und auf ein Gebäude deutete, schritt der wichtige Herr an das Gartentor zurück und half seinem Gefährten den Wagen unter Dach schaffen, wobei ihmBrittles leuchtete, von tiefster Bewunderung erfüllt, und dann nach Ausspannung des Pferdes usw. mit den beiden in das Haus zurückkehrte.
Der Mann, der geklopft hatte, war ein stämmiger Mensch von ungefähr fünfzig Jahren, mit schwarzem, glänzendem, ziemlich kurz geschorenem Haar, Bartkoteletten, einem runden Gesicht und scharfen Augen; der andere, ein rothaariger knöcherner Gesell mit hohen Stiefeln, einem keineswegs angenehmen Gesicht und einer aufwärtsgestülpten, unheimlich aussehenden Nase darin.
»Sagen Sie Ihrer Herrschaft, Blathers und Duff seien da, ja?« sagte der untersetzte Mann, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und legte ein paar Handschellen auf den Tisch.
»O, guten Abend, Sir! Könnte ich ein paar Worte mit Ihnen unter vier Augen sprechen«, wendete er sich an Doktor Losberne, der soeben ins Zimmer trat.
Doktor Losberne schloß die Türe ab. »Hier, die Frau vom Hause«, erklärte er und deutete auf Mrs. Maylie.
Mr. Blathers machte einen Kratzfuß. Aufgefordert, Platz zu nehmen, stellte er seinen Hut auf den Boden, griff nach einem Stuhl und bedeutete seinen Kollegen Duff ein Gleiches zu tun. Dieser, mit weniger guten Umgangsformen behaftet, schien sich nicht behaglich zu fühlen und setzte sich erst, nachdem er mehrere Muskelverrenkungen mit seinen Gliedmaßen vorgenommen. Dann steckte er verlegen seinen Stock in den Mund.
»Zur Sache, mein Herr«, begann Blathers. »Unter welchen näheren Umständen ist hier eingebrochen worden?«
Mr. Losberne erzählte, um Zeit zu gewinnen, den Hergang so ausführlich und umschweifig wie möglich. Die Firma Blathers und Duff blickte äußerst weise drein und wechselte gelegentlich einen Blick.
»Ich kann natürlich noch nichts Genaues sagen«, fing Mr. Blathers an, »aber ich bin der Meinung, daß die Sache nicht von einem Provinzler gedreht wurde.«
»Gewiß nicht«, bekräftigte Mr. Duff. Doktor Losberne lächelte.
»Wissen Sie sonst noch etwas?«
Losberne verneinte.
»Was ist mit dem Jungen, von dem die Dienerschaft erzählt hat?« forschte Blathers.
»Ach Gott, nichts«, versetzte der Doktor. »Ein Diener, der den Kopf verloren hat, bildet sich ein, der Junge, der oben liegt, sei irgendwie mit dem Einbruchsversuch verquickt, aber das ist natürlich Blödsinn.«
»Nun, das wäre ja sehr kurz abgetan«, bemerkte Duff.
»Was der Herr gesagt hat, ist durchaus korrekt«, fiel Blathers ein, nickte bestätigend und spielte mit den Handschellen, als wären es ein paar Kastagnetten. »Wo ist der Junge? Womit weist er sich aus? Woher ist er gekommen? Er ist doch wohl nicht aus den Wolken gefallen, nicht wahr, Sir?«
»Das gerade nicht«, gab der Doktor nervös zu und schielte nach den beiden Damen hin. »Ich kenne seine ganze Geschichte, – aber darüber können wir ja später reden. Zuerst wünschen Sie doch wohl den Tatort zu besichtigen?«
»Allerdings«, versetzte Mr. Blathers. »Am besten: zuerst die Örtlichkeit besichtigen und nachher die Dienerschaft verhören, das ist so der gewöhnliche Verlauf.«
Die Firma Blathers und Duff verfügte sich in Gesellschaft des Konstablers, Mr. Brittles’ und Mr. Giles’ nach dem Zimmer am Ende des Ganges und blickte zum Fenster hinaus. Dann machten sie einen Rundgang über den Rasen und guckten zum Fenster hinein, dann besichtigten sie bei Kerzenschimmer den Fensterladen, untersuchten die Fußspurenund stachen mit einer Heugabel in das Gebüsch. Nachdem alles dies unter atemloser Teilnahme sämtlicher Zuschauer geschehen, verfügte sich die Firma wieder herein und veranlaßte Mr. Giles und Mr. Brittles zu einer melodramatischen Darstellung ihrer Anteilnahme an dem Abenteuer der letzten Nacht. Diese wurde ein halbes Dutzend Male wiederholt, bis sich schließlich die heftigsten Widersprüche ergaben. Dann hielt die Firma Blathers und Duff unter vier Augen ein langes Konzilium, was sich ungemein wichtig ausnahm.
Unterdessen schritt der Arzt im anstoßenden Zimmer nervös auf und ab, und Mrs. Maylie und Miss Rose sahen einander ängstlich an.
»Wirklich und wahrhaftig«, brummte Mr. Losberne und machte einen Augenblick in seinem Marsche halt, »ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Es wird doch sicher die Geschichte des armen Jungen«, sagte Miss Rose, »wenn sie
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