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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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den Detektivs getreu wiedererzählt wird, genügen, um ihn von jedem Verdacht zu reinigen.«
    »Das bezweifle ich sehr, mein liebes Fräulein«, meinte der Doktor und schüttelte den Kopf. »Es würde ihn weder hier entlasten noch bei einem Gericht höheren Grades. Also: was ist er eigentlich im Grunde, würde man sagen. Ein Ausreißer! Und daher ist seine Erzählung von höchst zweifelhaftem Wert.«
    »Aber Sie selbst glauben doch an die Geschichte«, fiel ihm Miss Rose in die Rede.
    »Ich meinesteils glaube sie, so seltsam sie auch klingt; vielleicht bin ich ein alter Narr, weil ich es tue«, brummte der Doktor. »Aber trotzdem bin ich nicht der Ansicht, daß seine Erzählung in den Augen der Polizisten Glauben finden wird.«
    »Warum denn nicht?«
    »Weil ihr, mein liebes Fräulein«, versetzte der Doktor, »in den Augen dieser Leute zu viel dunkle Punkte anhaften. Der Junge selbst kann nur Momente angeben, die ungünstig für ihn sind; der Teufel hole diese Burschen. Oliver war, nach seiner eigenen Aussage, schon ziemlich lang der Kamerad von Dieben und stand unter der Anklage, einem Herrn die Taschen ausgeräumt zu haben. Aus dem Hause dieses Herrn ist er gewaltsam wieder verschleppt worden an einen Ort, den er nicht genau bezeichnen kann und von dessen Lage er keine Vorstellung hat. Er sagt, er sei durchs Fenster geschoben worden – gegen seinen Willen –, um in einem Haus zu plündern. Gerade in diesem Augenblick habe man ihn angeschossen. Er sagt, er hätte die Einwohner warnen wollen.«
    Miss Rose mußte unwillkürlich über die Verzweiflung des Doktors lächeln. »Ich sehe noch immer nicht«, sagte sie, »was man dem armen Jungen zum Vorwurf machen könnte?«
    »Nichts, natürlich nichts«, gab der Doktor zu. »Gott segne Ihre hellen Augen, Miss Rose, die in einer Sache immer das Richtige sehen. Aber, je länger ich über die Sache nachdenke, desto mehr fühle ich, welche Unmenge von Schwierigkeiten uns daraus erwachsen werden, wenn wir es uns einfallen lassen, den Detektivs den wahren Sachverhalt mitzuteilen. Sie werden dem Jungen nicht glauben, wenn sie ihm auch schließlich nichts anhaben können. Aber bedenken Sie nur die Menge von Unannehmlichkeiten.«
    »O Gott, was ist da zu machen«, rief Miss Rose, »o Gott, warum hat man nur nach diesen Leuten geschickt.«
    »Ja wirklich, warum!« rief Mrs. Maylie aus. »Nicht um alles in der Welt hätte ich sie hierher in mein Haus kommen lassen.«
    »Alles, wozu ich raten kann«, sagte schließlich Mr. Losberne und setzte sich verzweifelt nieder, »ist: wir müssen eine freche Stirn machen; daß wir ein gutes Ziel vor Augen haben, muß unsre Entschuldigung sein. Der junge Bursche kann nicht vernommen werden, das ist ein Trost. Kommt Zeit, kommt Rat; – bitte, treten Sie ein.«
    »Nun, Sir«, begann Blathers und trat, von seinem Kollegen gefolgt, ins Zimmer, schloß die Türe ab und blickte sich scharf um. »Die Sache ist keine Meschores gewesen.«
    »Was heißt denn das um Gottes willen schon wieder: Meschores?« fragte der Doktor ungeduldig.
    »Meschores heißt«, erklärte Blathers, sich mit mitleidiger Miene an die Damen und mit geringschätziger Miene an den Doktor wendend, »Meschores nennen wir eine Sache, bei der das Gesinde die Hand mit im Spiel hat.«
    »Die Dienerschaft hat doch niemand verdächtigt«, wendete Mrs. Maylie ein.
    »Allerdings nicht, Madame«, versetzte Blathers; »nichtsdestoweniger hätte es aber der Fall sein können.«
    »Vielleicht gerade deswegen um so mehr«, meldete sich Mr. Duff.
    »Unsrer Ansicht nach ist es Kaschores gewesen; echte Londoner Einbrecherarbeit«, fuhr Blathers fort. »Alles prima primissima eingeleitet.«
    »Ein feines Stück Arbeit«, setzte Mr. Duff überlegen hinzu.
    »Es waren zwei«, fuhr Blathers fort, »und sie haben einen Jungen bei sich gehabt, das erhellt sich deutlich aus der Größe des Fensters. Das ist vorläufig alles, was wir konstatieren können. Wenn Sie gestatten, werden wir uns jetzt den Jüngling anschauen.«
    »Vielleicht trinken die Herren zuerst einen Schluck, Mrs.Maylie«, schlug der Doktor vor, dessen Gesicht sich aufhellte, als sei ihm ein neuer Einfall gekommen.
    »Gewiß, gewiß«, rief Miss Rose eifrig aus. »Wenn es den Herren paßt, können sie sogleich etwas zu trinken bekommen.«
    »Hm, wir danken verbindlichst, Miss«, sagte Blathers und fuhr sich mit dem Rockärmel über den Mund. »Unsre Arbeit ist eine sehr trockene, Miss. Nun, Miss, wenn Sie vielleicht zufällig etwas bei

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