Olivers Versuchung
ihm plötzlich die Fähigkeit zu sprechen.
„Hat es ein Schloss?“
„Das Bad schon, aber die Tür zu meinem Zimmer nicht. Aber ich verspreche dir, dass niemand einen Fuß hineinsetzen wird, während du dort drinnen bist.“
Sie zögerte einen kurzen Moment. „In Ordnung.“
12
Kein Schloss an der Tür des Schlafzimmers: Zumindest bedeutete dies, dass sie sie nicht einsperren konnten. Und da sie die Tür zum Bad absperren konnte, konnte sie sogar ein paar Minuten Privatsphäre genießen.
Ursula seufzte erleichtert.
„Ich zeige dir mein Zimmer“, bot Oliver an.
Blake unterbrach ihn sofort mit einem spitzen Blick. „Wir zeigen es dir gemeinsam.“
Sie verzichtete darauf, bei dieser Zurschaustellung von zu viel überschüssigem Testosteron die Augen zu verdrehen.
Olivers Zimmer war im zweiten Stock des riesigen Herrenhauses. Eine große Eichentreppe führte zu den oberen Etagen. Ursula prägte sich die Umgebung genau ein. Als Oliver die Tür zu seinem Zimmer öffnete und hineinging, folgte sie ihm. Blake trat nach ihr ein.
Für ein Haus, das um die Jahrhundertwende gebaut worden war, war das Zimmer groß. Und etwas unordentlich.
Oliver schnappte hastig ein Paar Boxershorts vom Boden und versteckte sie hinter seinem Rücken. „Entschuldige“, meinte er leise. Er deutete zu einer Ecke des Raumes. „Dort ist das Badezimmer. Frische Handtücher sind im Schrank, und wenn du ein sauberes T-Shirt anziehen willst, bediene dich in meinem Schrank.“
Sie blickte auf ihr Oberteil und bemerkte die Blutflecken darauf. Aber wollte sie wirklich eines seiner T-Shirts tragen? Warum war er so nett zu ihr? Um ihr ein falsches Gefühl von Sicherheit zu verleihen? Sie versprach sich, nicht darauf hereinzufallen.
Ursula nickte und schaute sich um. Langsam ging sie zum Fenster und blickte nach draußen. Es gab keine Feuerleiter vor dem Fenster. Sie drehte sich langsam um.
„Es ist ein schönes Zimmer. Lebt ihr beide alleine hier?“
Wenn die beiden dachten, dass sie nur höfliche Konversation machte, dann hatten sie sich getäuscht. Was sie wirklich wissen wollte, war, ob irgendjemand anderer hier im Haus auftauchen und ihre Pläne durchkreuzen könnte.
Oliver lächelte. „Das Haus gehört unseren Eltern, Quinn und Rose. Aber die sind auf ihrer Hochzeitsreise in England.“
England? Weit genug weg, um nicht unerwartet aufzutauchen. Aber etwas anderes in seiner Antwort ergab keinen Sinn. „Hochzeitsreise?“ Wenn sie zwei erwachsene Söhne hatten, warum waren sie dann jetzt erst auf Hochzeitsreise?
„Ja, das ist ein wenig kompliziert“, meinte Oliver.
Blake schmunzelte. „Ich kann’s dir erklären, wenn du willst.“
Sie zuckte die Achseln. Je mehr sie herausfinden konnte, mit wem sie es zu tun hatte, umso besser. Abgesehen davon war sie nicht im Geringsten an Blakes und Olivers Familiensituation interessiert. Wirklich.
Offensichtlich begeistert, dass er etwas zu erzählen hatte, startete Blake mit seiner Erklärung. „Ich bin eigentlich der einzige Blutsverwandte und –“
„Wenn du schon die Geschichte erzählen musst“, unterbrach ihn Oliver, „– dann halte dich bitte an die Tatsachen. Ich trage Quinns Blut in mir, ich bin genauso ein Blutsverwandter wie du.“
Ursula starrte ihn an. Sie fand es seltsam, dass er über Blakes Worte verärgert schien. Als ob er sichergehen wollte, dass er nicht ausgelassen wurde.
„Schon gut, ich habe mich also falsch ausgedrückt. Kein Problem! Jedenfalls . . . “ Blake wandte sich wieder ihr zu. „Quinn und Rose sind meine Urgroßeltern vierten Grades. Sie hatten sich vor zweihundert Jahren zerstritten und sich erst vor ein paar Monaten wieder vereint.“
Das erklärte eine Sache: Rose und Quinn waren Vampire. Allerdings konnte dann ein anderer Teil von Blakes Geschichte nicht wahr sein. „Vampire können keine Kinder zeugen. Ich hörte, wie die Wächter darüber redeten.“
Dieses Wissen hatte sie irgendwie mit Genugtuung erfüllt: Zumindest bedeutete dies, dass Vampire sich nicht wie Menschen fortpflanzen konnten. Sie hatten also nur eine einzige Möglichkeit, wie sie sich vermehren konnten.
„Das stimmt nicht ganz“, warf Oliver ein. „Männliche Vampire können mit ihren menschlichen Gefährtinnen Kinder zeugen. Aber in Quinns und Roses Fall war es anders: Sie waren beide Menschen zu der Zeit, als sie ein Kind hatten.“
Blake nickte eifrig. „Ja, und von dieser Linie stamme ich ab.“ Dann zeigte er auf Oliver. „Oliver ist nur mit Quinn
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