Olivers Versuchung
hat?“
„Natürlich nicht!“
„Erzähl mir jetzt nicht, dass du den Vampir alleine überwältigt hast.“
Der spöttische Blick in Olivers Augen brachte sie in Aufruhr. Wie konnte er es wagen, sich über sie lustig zu machen?
„Ach, und du glaubst wohl, dass ich das nicht könnte?“
„Sieh doch in den Spiegel! Du bist kaum einen Meter sechzig groß. Und wie schwer? Vielleicht fünfzig oder fünfundfünfzig Kilo? Du könntest nicht einmal einen sterblichen Mann überwältigen, geschweige denn einen Vampir. Jemand muss dir geholfen haben zu entkommen.“
Wütend funkelte sie ihn an und stemmte ihre Hände an die Hüften. Aber sie hielt ihre Zunge im Zaum. „Dem Arsch war es egal! Okay? Er hatte bekommen, was er wollte und hat sich nicht darum geschert, dass ich das Zimmer verlassen habe! Er wusste nicht, dass ich fliehen wollte. Er ist wahrscheinlich davon ausgegangen, dass ich zurück in mein eigenes Zimmer gehen würde.“
Als Oliver sie mit Argwohn in den Augen ansah, hielt sie seinem Blick stand, ohne zu blinzeln.
„Das glaube ich nicht.“
„Kannst du sie nicht in Ruhe lassen?“, schimpfte Blake hinter ihm. „Warum ist das denn jetzt so wichtig? Sie ist entkommen. Ende der Geschichte.“
„Was verschweigst du mir?“, bohrte Oliver weiter und ignorierte seinen Halbbruder.
„Nichts.“
Er glaubte ihr nicht, so viel war klar. Sie konnte es ihm nicht einmal verdenken.
Langsam trat er zurück. „Na gut. Wir unterhalten uns morgen. Du bist müde und du hast eine Menge durchgemacht. Mach’s dir gemütlich! Ich habe einen Fernseher, Musik und Bücher. Wenn du Hunger hast, kann Blake dir was zu essen bringen.“
Dann drehte er sich um und verließ den Raum. Sie hörte seine Schritte im Flur verhallen.
„Bist du hungrig?“, fragte Blake.
„Nein!“
Blake nickte und ließ sie alleine.
Bis jetzt war sie der Inquisition entkommen, aber wie viel länger konnte sie Oliver die Wahrheit verschweigen?
13
Ursula sank in das warme Wasser, das ihren müden Körper sogleich streichelte. Sie hielt ihren verletzten Arm aus dem Wasser, damit der Verband nicht nass wurde.
Sie hatte nicht nur die Badezimmertür verriegelt, sondern auch als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme den Wäschekorb unter dem Türgriff verkeilt. Es würde sie nicht wundern, wenn Oliver – oder Blake – hereinplatzten, damit sie sie nackt sehen konnten. Beide hatten sie mit lüsternen Augen angestarrt. Bei Blake wusste sie zumindest, dass er nicht hinter ihrem Blut her war, aber bei Oliver hatte sie ihre Zweifel. Vielleicht wollte er beides: ihren Körper und ihr Blut. Schließlich hatte sie ihm ihren Körper schon einmal angeboten. Vielleicht wollte er jetzt, da sie sich nicht mehr in unmittelbarer Gefahr befand, dass sie ihr Versprechen einlöste.
Aber sie hatte ihr Versprechen nicht einem Vampir gegeben, jedenfalls nicht wissentlich. Sie hatte es einem gut aussehenden Mann gegeben, einem Mann, von dem sie geglaubt hatte, dass er menschlich war. Und sie hatte es gemacht, als sie verzweifelt gewesen war. Leider hatte sich herausgestellt, dass auch er ein Feind war.
Dieser Gedanke war ernüchternd. Wie konnte sie nur die Anzeichen übersehen haben? Nach drei Jahren zusammen mit Vampiren hatte sie ein Gefühl dafür entwickelt, die Besonderheiten wahrzunehmen, an denen sie sie erkennen konnte: ihre fließenden, anmutigen Bewegungen, die Wachsamkeit in ihren Augen, ihre scheinbar perfekte und makellose Haut. Und dann natürlich ihre Geschwindigkeit. Aber Oliver war bei ihrer Begegnung einfach da gestanden, ohne sich zu bewegen, und hatte ihr dadurch nicht die Möglichkeit gegeben, ihn anhand seiner Bewegungen als Vampir zu identifizieren.
Seine blauen Augen hatten sie hypnotisiert, sie so geblendet, dass sie nichts anderes mehr sehen konnte.
Sie riss ihre Gedanken von ihm los. Es war nicht nötig, über verschüttete Milch zu klagen. Jetzt war es viel wichtiger, einen Plan auszuarbeiten – nach dem Bad. Allerdings wollte sie nun einfach nur die Augen schließen, schlafen und sich an einen sicheren Ort hindenken, während das warme Wasser ihre schmerzenden Muskeln entspannte und ihren müden Körper beruhigte. Vielleicht sollte sie sich einfach einen Moment Zeit und Ruhe gönnen, und danach würde alles weniger verzweifelt und hoffnungslos aussehen.
Doch nein, sie konnte nicht zulassen, schwach zu werden. Entschlossen, stark und wachsam zu bleiben, griff sie nach dem Duschgel und seifte ihren Körper ein. Sie befreite sich
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