Olivers Versuchung
ganze Nachbarschaft aufwecken.
Oliver kletterte auf den Müllcontainer und schloss den Deckel mit seinem Fuß, dann trat er darauf. Er war jetzt fast auf Augenhöhe mit der Leiter. Er schätzte die Distanz schnell ab und beschloss, dass es einen Versuch wert war. Er nahm einen Schritt zurück und sprang der Feuerleiter entgegen. Er streckte seine Arme gleichzeitig nach oben und nach vorne. Seine Finger berührten die Metallplattform und umschlangen eine Metallstange, während sein Körper weiter in der Luft pendelte.
„Hab dich!“, murmelte er und schwang seine Beine hoch. Dank seiner starken Bauchmuskeln konnte er sich auf die Plattform ziehen und aufstehen.
Er blickte auf und stieg die Metalleiter bis in den dritten Stock hoch, dann stoppte er. Er drückte sich gegen die Hauswand, um sicherzugehen, dass er nicht vom Fenster in Veras Vorzimmer aus gesehen werden konnte. Als er zu dem kleinen Balkon vor Zimmer 407 hinüberblickte, erkannte er, dass er den Abstand zur Plattform der Feuerleiter, auf der er jetzt stand, unterschätzt hatte. Von seiner aktuellen Position aus war es unmöglich, auf den Balkon zu springen.
Auf der Suche nach einer anderen Lösung blickte er die Wand hoch. Falls er zum Dach hinaufsteigen konnte, könnte er von dort direkt auf den Balkon hinunterspringen. Er fokussierte seine Augen und entdeckte mehrere kurze Metallstangen, die aus der Wand ragten, wo früher eine Leiter auf das Dach geführt haben musste. Aus irgendeinem Grunde war diese entfernt worden, aber einige der Metallstäbe, die in der Ziegelfassade verankert waren und die nicht mehr als zehn Zentimeter lang waren, waren in der Hauswand verblieben.
Oliver duckte sich am Fenster vorbei, um auf dessen andere Seite zu gelangen, dann zog er sich auf das Geländer, das die Feuerleiter umgab. Von dort stieg er auf die erste Stange und ergriff eine andere, weiter oben gelegene. Wie ein Einbrecher arbeitete er sich hoch und achtete darauf, nicht den Halt zu verlieren und zu fallen, und damit die Aufmerksamkeit irgendwelcher Nachbarn auf sich zu lenken.
Innerhalb von Sekunden erreichte er das Dach und zog sich hoch. Er trat nur leicht auf, um nicht zu viel Lärm zu machen, und ging zu der Stelle, unter der Ursulas Fenster lag. Er blickte nach unten. Er stand direkt über dem schmalen Balkon.
Oliver sprang, beugte seine Knie und ging in die Hocke, um den Aufprall und den Laut zu dämpfen, als er in der Mitte des Balkons landete. Schnell warf er einen Blick auf die Feuerleiter, aber niemand hatte ihn gesehen oder gehört. Die Vorhänge zu Ursulas Zimmer waren zugezogen, und das Fenster war geschlossen. Allerdings wusste Oliver aus Erfahrung, dass das Gebäude alt war und dass viele der Fenster nicht mehr richtig schlossen, da die alten Schiebefenster sich im Laufe der Jahre verzogen hatten.
Er betete, dass dies auch bei diesem Fenster der Fall war, ergriff den Rahmen und drückte nach oben. Es bewegte sich. So schnell er konnte, schob er es auf und zwängte sich nach drinnen, wohl wissend, dass Ursula den Lärm bestimmt schon gehört hatte. Er konnte nicht riskieren, dass sie schrie.
Hektisch schob er die Vorhänge beiseite. Das Licht im Zimmer war gedämpft. Nur eine kleine Nachttischlampe war an und der Fernseher lief. Ursula war vom Bett gesprungen und hielt die Fernbedienung über ihrem Kopf, als ob sie ihn damit erschlagen wollte.
„Ursula, ich bin’s. Oliver“, verkündete er.
Sie keuchte und öffnete den Mund, als ob sie schreien wollte. Instinktiv sprang er auf sie zu, packte sie und ließ sich mit ihr aufs Bett fallen, während er gleichzeitig seine Hand auf ihren Mund drückte.
Sie kämpfte gegen ihn an und schlug ihre kleinen Fäuste gegen seine Brust.
„Schh! Ursula, stopp, ich bin nicht hier, um dir wehzutun.“
Sie starrte ihn mit wutentbrannten Augen an. Eine Sekunde später grub sie ihre Zähne in seine Handfläche. Sie biss ihn!
„Autsch! Was soll das?“ Er ließ jedoch ihren Mund nicht frei. „Versprichst du mir, nicht zu schreien, wenn ich meine Hand von deinem Mund nehme?“
Sie kniff die Augen zusammen, dann verkeilte sie plötzlich ihr Bein zwischen seinen Oberschenkeln und schlug es hoch. Aber er war schneller und verlagerte sein Gewicht, um ihre Beine festzuhalten, damit sie nicht noch einmal versuchen konnte, ihm in die Eier zu treten.
„Womit habe ich das verdient?“ Er nahm seine Hand von ihrem Mund.
„Du Scheißkerl! Du hast mich verraten! Du hast ihnen von meinem Blut erzählt!“,
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