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Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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legt eine Hand auf Andromaches Handgelenk – o b wohl schwer zu erkennen ist, ob sie Hektors Gemahlin zurüc k halten oder gemeinsam mit ihr das Messer führen will – und die andere auf Kassandras Schulter.
    »Kommt Menelaos, um mich zu töten?«, flüstert sie der gepe i nigten Seherin ins Ohr.
    »Zweimal wird er dir heute zu Leibe rücken, und beide Male wird sein Vorhaben vereitelt werden«, erwidert Kassandra mit monotoner Stimme. Ihr Blick ist auf keine der beiden Frauen g e richtet. Ihr Lächeln ist verzerrt.
    »Wann kommt er?«, fragt Helena. »Und wer wird sein Vorh a ben vereiteln?«
    »Zum ersten Mal, wenn Paris ’ Scheiterhaufen brennt«, sagt Ka s sandra in so ausdruckslosem und desinteressiertem Ton, als läse sie aus einem alten Kindermärchen vor. »Und zum zweiten Mal, wenn Paris ’ Scheiterhaufen erlischt.«
    »Und wer wird sein Vorhaben vereiteln?«, wiederholt Helena.
    »Beim ersten Mal wird er von Paris ’ Gemahlin aufgehalten we r den«, sagt Kassandra. Ihre Augen haben sich nach oben verdreht, sodass man nur noch das Weiße sieht. »Beim zweiten Mal von Agamemnon und der Möchtegern-Achilles-Töterin Penthesilea.«
    »Von der Amazone Penthesilea?«, sagt Andromache übe r rascht. Ihre Stimme ist so laut, dass sie im Zeustempel wide r hallt. »Die ist sehr weit von hier entfernt, ebenso wie Agame m non. Wie können sie hier sein, wenn Paris ’ Scheiterhaufen e r lischt?«
    »Pst«, zischt Helena. Sie wendet sich an Kassandra, deren L i der flattern. »Du sagst, Paris ’ Gemahlin hindert Menelaos d a ran, mich zu ermorden, wenn der Scheiterhaufen brennt. Wie mache ich das? Wie?«
    Kassandra verliert das Bewusstsein und sinkt zu Boden. An d romache lässt den Dolch in den Falten ihres Gewands verschwi n den und schlägt der jüngeren Frau mehrmals hart ins Gesicht. Kassandra wacht nicht auf.
    Helena verpasst der am Boden Liegenden einen Tritt. »Zum H a des mit ihr. Wie soll ich Menelaos daran hindern, mich zu töten? Es kann nur noch Minuten dauern, bis … «
    Unter den Trojanern und Achäern auf dem Platz draußen vor dem Tempel erhebt sich lautes Geschrei. Die beiden Frauen h ö ren das Fauchen und Tosen.
    Die Winde sind gehorsam durchs skäische Tor hereingefa h ren. Der Zunder und das Holz haben Feuer gefangen. Der Scheite r haufen brennt.
     

4
    Menelaos sah zu, wie der Westwind die schwelende Glut von P a ris ’ Scheiterhaufen anfachte. Zuerst bildeten sich ein paar fl a ckernde Feuerzungen, dann ging das ganze Gebilde schla g artig in Flammen auf. Hektor schaffte es gerade noch, die Stufen hinu n terzulaufen und sich mit einem Satz in Sicherheit zu bringen.
    Jetzt, dachte Menelaos.
    Die geordneten Reihen der Achäer hatten sich im Gedränge au f gelöst, als die Menge vor der Hitze des Scheiterhaufens zurüc k wich, und Menelaos nutzte das Durcheinander, um sich heimlich davonzustehlen. Er schlüpfte an seinen argeiischen Kameraden vorbei und durch die Reihen der trojanischen Fu ß soldaten, die auf die Flammen starrten. Langsam arbeitete er sich nach links vor, zum Zeustempel und der wartenden Tre p pe. Er stellte fest, dass die Hitze und der Funkenflug – der Wind wehte in Richtung zum Tempel – Priamos, Helena und die anderen von der Tribüne und, was noch wichtiger war, die störenden Soldaten von der Treppe vertrieben hatten, sodass der Weg frei war.
    Es ist, als würden die Götter mir helfen.
    Vielleicht stimmte das ja sogar, dachte Menelaos. Man hörte j e den Tag von Kontakten zwischen Argeiern oder Trojanern und ihren alten Göttern. Nur weil Sterbliche und Götter nun mite i nander im Krieg lagen, hieß das nicht, dass die Bande des Blutes und der alten Gewohnheiten vollständig zerrissen waren. Menelaos kannte Dutzende seinesgleichen, die den Göttern nachts heimlich Opfer darbrachten, wie sie es immer getan hatten, o b gleich sie die Götter tagsüber bekämpften. Hatte nicht Hektor selbst soeben die Götter des West- und Nordwinds – Zephyros und Boreas – angerufen, damit sie ihm halfen, den Scheiterhaufen seines Bruders in Brand zu setzen? Und hatten die Götter seine Bitte nicht erfüllt, obwohl die Knochen und Eingeweide von Di o nysos, Zeus ’ eigenem Sohn, auf eben jenem Scheiterhaufen ve r streut worden waren wie minderwertige Brocken, die man den Hunden vorwarf?
    Ich lebe in einer verwirrenden Zeit.
    Mag sein, antwortete die andere Stimme in Menelaos ’ Kopf, die zynische Stimme, die nicht bereit gewesen war, Helena he u te zu töten, aber nicht mehr

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