Oma 04 - Omas Erdbeerparadies
Nichte.
«Susanne Lindner.» Sie ließ ihren Namen wie eine Drohung klingen. Dann wandte sie sich wieder an Arne.
«Ihr seid zu laut», stellte sie fest.
«Das ist eine Disco!», protestierte Jade.
Susanne schaute sie mitleidig von oben herab an, und zwar im Wortsinn, denn in ihren hochhackigen schwarzen Pumps überragte sie Jade um fast zwei Köpfe. «Außerdem bringt die Disco zu viel Verkehr», sagte sie ruhig.
Arne zuckte mit den Achseln. «Wir haben eine Genehmigung.»
«Aber nicht für den Nachmittag.»
«Das ist doch Schwachsinn: Am Abend dürfen wir laut sein und am Nachmittag nicht?»
Susanne setzte ein süffisantes Lächeln auf: «Wenn du willst, dass der Stadtrat das ändert, dann wende dich an deine Volksvertreter.»
«Also an dich?»
Er hatte sie nicht gewählt, aber das nützte jetzt auch nichts.
«Leiser oder ausschalten!»
«Die Teenies haben vollen Eintritt bezahlt», entgegnete Jade.
Aber eine Diskussion erübrigte sich. Denn in diesem Moment sah Arne einen Polizeiwagen auf sie zukommen. Er war hochkarätig besetzt mit dem Chef der Inselpolizei, Gerald Brockstedt, und seinem Stellvertreter Peter Markhoff. Susanne hatte ihre Truppen also bereits in Stellung gebracht. Ihre Augen strahlten vor Siegesfreude.
Ich hätte sie töten sollen, bevor sie mich tötet, dachte Arne. Er machte auf dem Absatz kehrt und zog Jade in den Tanzsaal hinein. Die Jugendlichen waren wie wild am Tanzen, die Stimmung war auf dem Siedepunkt.
«Wir müssen sofort leiser machen», brüllte er Jade gegen die Musik ins Ohr.
«Neiin!», brüllte sie zurück.
«Du hast es doch gesehen: Die Polizei ist da!»
«Und?»
«Versuch es leiser.»
Jade nahm das Mikro in die Hand. «Wir haben Besuch von Leuten in schlechtsitzenden Uniformen bekommen. Die wollen, dass wir leiser werden.»
Protestgeheul.
«Also, wir schließen die Fenster. Versucht, so wenig wie möglich die Tür zu benutzen.»
Was natürlich unmöglich war: Wie anders sollte man zu den Herrentoiletten im Vorraum gelangen?
Während Jade den nächsten Titel spielte, schloss Arne schnell sämtliche Fenster. Da sah er auch schon Brockstedt und Markhoff hereinkommen.
«Wenn ihr nicht sofort die Lautstärke um die Hälfte runterdreht, müssen wir die Anlage einkassieren», sagte der Polizeichef statt einer Begrüßung.
Arne kannte die beiden seit Jahren, er war sogar auf Brockstedts Sechzigstem gewesen, aber dafür konnte er sich jetzt auch nichts kaufen.
«Könnt ihr nicht eine Ausnahme machen?», stammelte er.
«Mensch, Arne, hol dir beim Stadtrat ’ne Genehmigung für den Nachmittag», sagte Brockstedt. «Ich kann da nichts machen.»
Arne gab Jade ein Zeichen. Die zeigte guten Willen und ging auf halbe Lautstärke. Die Teenies tanzten zwar trotzdem weiter, aber die Stimmung war im Eimer. Diese Veranstaltung, das war allen klar, schrie für niemanden nach Wiederholung.
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16.
Wiedersehen in der Marsch
Jade saß am Küchentisch und wühlte geistesabwesend den Karton mit alten Fotos aus dem Erdbeerparadies durch. Im Raum roch es immer noch leicht nach den köstlichen Thai-Klopsen von gestern, aber ihre Stimmung war im Keller. Wieder einmal war sie voll gegen die Wand geknallt – was machte sie bloß falsch? In der Bank hatte sie ein grandioses Dossier verfasst und war glatt abgeschmiert. Inzwischen hatte sie eingesehen, dass ihr Vorpreschen in der Chefetage naiv und undiplomatisch gewesen war. Aber auf Föhr war alles so gut angelaufen! Die Idee mit der Teeniedisco am Nachmittag war super. Nur was nützte es, wenn die Gäste in Scharen kamen und das Paradies dann von der Polizei geschlossen wurde?
Jetzt blieb ihnen nur noch die Schülerdisco für die Älteren und die Hoffnung, dass Arnes nächstes Blues-Konzert besser laufen würde – was zu wenig war. Wie konnte es weitergehen? Würde es überhaupt weitergehen? Momme hatte sich seit der Schaumparty auch nicht wieder bei ihr gemeldet – wieso nicht? Sie hatte ihn in den letzten Tagen mehrmals angerufen, aber immer sprang nur die Mailbox an. Dann kam eine SMS, dass er sie anrufen würde, was er bis jetzt nicht getan hatte.
Sie blickte auf die alten Fotos, die jetzt ausgebreitet vor ihr auf dem Tisch lagen. Voller Bewunderung betrachtete sie die Menschen vergangener Epochen im Erdbeerparadies. Sie wirkten in den Zwanzigern wie in den Fünfzigern ausgelassen und glücklich, Krieg, Hunger und Inflation zum Trotz. Wie hatten die es bloß geschafft, in solch schwierigen Zeiten so
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