Oma 04 - Omas Erdbeerparadies
saß die meiste Zeit im Rollstuhl. Jade rief sie einmal in der Woche an und erzählte ihr, was sie so erlebt hatte, auch wenn ihre Oma nicht antworten konnte.
Nun riss sie Peter Schmidt, der schwergewichtige Abteilungsleiter, aus ihren Gedanken. Er war um die vierzig, seine Stirn zog sich fast hoch bis zur Mitte seines massigen Schädels, und seine Anzüge saßen immer etwas schludrig. Was ihn in der sterilen, uniformen Bankenwelt schon zu einem Unikat machte.
«Morje, Frau Riewerts – bereit für die Weltökonomie?»
Jade grinste.
«Moin, Herr Schmidt! Und wie!»
«Schmidti», wie er hinter seinem Rücken genannt wurde, hatte sie von Anfang an gemocht. Als sie zum ersten Mal ein kleines Börsengeschäft selbständig am PC durchführen durfte, bat er sie danach in sein Büro, stellte sich auf seinen Schreibtisch und sang für sie «Oh, happy day». Damit wollte er natürlich auch demonstrieren, wie jung er sich noch fühlte, aber es hatte sie trotzdem beeindruckt.
«Na, dann mal los, Frau Riewerts», rief er schwungvoll. Sie durfte heute das erste Mal mit nach ganz oben in die Chefetage. Beim Investment-Meeting sämtlicher Fonds würde der Vorstandsvorsitzende Dr. Herold höchstpersönlich anwesend sein – das bedeutete den Eintritt in die Weltliga der Finanzwelt!
Und das wollte sie auf jeden Fall ausnutzen.
Ihr Plan war es, das Wort geschickt an sich zu reißen und das Projekt vorzustellen, an dem sie die letzten drei Monate gearbeitet hatte. So eine Chance bekam sie nie wieder. Schmidti ahnte nichts von ihrem Coup, es würde auch für ihn eine Überraschung werden. Als sie neben ihm zum Aufzug ging, bebte sie innerlich vor Aufregung. Jetzt wurde es ernst.
Das Meeting fand auf der sechsundzwanzigsten Etage in einem großen Konferenzraum statt, der sich im inneren Teil des Stockwerks befand, ohne Blick nach draußen. Wer hier tagte, sollte durch nichts abgelenkt werden, alles war reduziert auf seine bloße Funktion. Kein Gegenstand, kein Möbelstück, das nicht unmittelbar benötigt wurde, stand herum. Ein langer Tisch und Stühle, ein großer Bildschirm für die Präsentation, das war alles.
Big Boss Dr. Herold war ein älterer Herr mit vollem grauen Haar und einem milden Lächeln. Er nahm an der Stirnseite des langen Tisches Platz und warf einen kurzen Blick in die Runde. Man durfte sein freundliches Äußeres nicht unterschätzen, das erzählten alle in der Bank. Herold konnte in Bruchteilen von Sekunden von freundlich auf knallhart umschalten.
«Guten Morgen, meine Herren – meine Dame!», sagte er.
Sie errötete leicht. Immerhin war sie die einzige Frau an diesem Tisch, und er hatte sie wahrgenommen, das war schon mal ein guter Anfang. Ein Dutzend Männer in dunkelblauen und grauen Anzügen hatten links und rechts vom Tisch Platz genommen. Sie saß mit Schmidti ganz am Ende. Neben Dr. Herold platzierte sich der Chefanalyst der Bank, ein schmallippiger Volkswirt mit einer strengen Brille, der oft und gerne im Fernsehen auftrat.
«Wir wollen nicht viel Zeit verlieren», sagte Dr. Herold. «Beginnen wir mit dem Wachstum-Plus. Herr Kallweit?»
Ihr war nun richtig schlecht vor Aufregung, die großkalibrige Runde wirkte auf sie noch mächtiger, als sie sich es vorgestellt hatte. Zum Glück berichteten erst einmal ein paar Fondsmanager über ihre Ergebnisse und Prognosen, das verschaffte ihr etwas Zeit. Unauffällig rutschte sie aus ihren Ballerinas und stellte ihre nackten Füße auf die Auslegware. Die Bodenhaftung wirkte wie eine Steckdose, aus der frische Energie durch ihren gesamten Körper floss.
Als Schmidti an der Reihe war, war sie einigermaßen entspannt. Sein Fonds lag mit 2 Prozent im Plus, während die Konkurrenz 2 Punkte im Minus lag, das war wirklich hervorragend und versprach am Ende des Jahres eine satte Provision. Schmidti war gut ausgebildet und machte alles richtig. Aber man merkte ihm die vielen Rhetorikkurse an, die er hinter sich hatte, seine Gesten wirkten einstudiert. Im Grunde war das alles hier eine Nummer zu groß für ihn, ihm fehlte etwas, das man nicht erlernen konnte: Charisma.
Ob sie so etwas besaß? – Sie wusste es nicht, notfalls musste es auch ohne gehen. Sie konnte darauf setzen, dass sie jung war und man ihr im schlimmsten Fall alles verzeihen würde.
«Ich möchte noch etwas hinzufügen», meldete sie sich zu Wort, als Schmidti zu Ende gesprochen hatte. Alle Köpfe drehten sich zu ihr. In den Blicken lag bestenfalls Skepsis, eher Verachtung. Was sollte
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