Oma 04 - Omas Erdbeerparadies
Verlag, Marcus Gärtner, Katharina Schlott und Anne-Claire Kaufmann, sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei Rowohlt, die ich nicht persönlich kenne, die aber trotzdem unendlich viel für mich tun.
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Leseprobe: Friesensommer
1.
Maike Olufs lehnt sich an die Reling des Vorderdecks und streckt ihre langen Beine aus. Die erste Morgensonne leuchtet hell durch den dünnen Seenebel, der sich wie ein eleganter Schleier über das Wasser legt. Es riecht nach frischem Tang mit einer Prise Meersalz, zwei Möwen begrüßen kreischend den Sommertag. Plötzlich löst sich der Nebel um Maike herum auf, und eine kleine Sonneninsel entsteht. Sie schließt genussvoll die Augen, die Lider werden sofort warm, ihr Lächeln folgt automatisch. In der Seeluft liegt noch ein letzter kalter Hauch von Nacht, der für einen Moment ihre Stirn streift und sich dann wie eine kühle Kompresse in ihren Nacken legt. Obwohl sie nur wenige Stunden geschlafen hat, fühlt sie sich so wach und erholt wie nach vier Wochen Urlaub.
Die schneeweiße Fähre verlässt den Hafen von Dagebüll, es ist die erste des Tages. Nach einer Weile öffnet sie die Augen und staunt: Der Nebel ist nun vollständig verflogen, um sie herum ist ein riesiges Gemälde aus blauen und grünen Pastelltönen entstanden. Das Meer liegt als stiller, grünsilberner Teller da, in dem sich einige Schönwetterwolken spiegeln. Der Übergang zwischen Wasser und Himmel ist fließend, es gibt keinen Anfang und kein Ende. Die Autofähre durchschneidet die silberne Fläche in zwei Teile. Die dunkelroten und weißen Tupfer vor ihr, die beständig größer werden, sind die Häuser der Föhrer Inselhauptstadt Wyk. Die aufsteigende Sonne verstärkt die Blautöne des Himmels, im Meer leuchten einige Sandbänke auf. Ihr Hosenanzug aus beigem Wildleder und die weiße Bluse passen ideal in dieses Bild, es sind die besten Stücke aus ihrem Kleiderschrank. Neben ihr steht ihr eleganter Trolley, ebenfalls aus hellem Leder – sie hatte schon immer ein unerklärliches Faible für schöne Gepäckstücke. Plötzlich piepst ihr Handy in die Morgenstille, eine SMS von ihrer besten Freundin Carla:
«Na, schon wach?»
Es ist sechs Uhr morgens! Carla platzt natürlich vor Neugier. Immerhin ist sie der Grund gewesen, dass sie jetzt hier ist. Sie schickt ihr die einzig passende Antwort: «Nein, schlafe noch!»
Carla hatte ihr zum Geburtstag ein seltsames Geschenk gemacht: einen Schnupper-Vertrag für eine Partnervermittlung. Drei Monate durfte sie auf schmetterlinge.de paarungswillige Männer angucken und kennenlernen. Erst war sie schwer beleidigt gewesen: Hatte sie das nötig? Nach dem Abitur auf Föhr war sie zum Medizinstudium nach Hamburg gegangen. Anschließend hatte sie viele Jahre als Internistin in der Uniklinik Eppendorf gearbeitet und dann ihren Chef geheiratet. Die Ehe ging zwölf Jahre gut. Nach der Scheidung – wie lange ist das jetzt her? – hatte sie nichts vermisst, vor allem keine Männer. Nicht dass sie verbittert war, es hatte sich einfach nichts ergeben. Aber nachdem Carla vor einem Jahr ihren Thorben übers Internet kennengelernt hatte, wollte sie ihrer Freundin eben was Gutes tun.
Für schmetterlinge.de musste sie ein Foto von sich ins Netz stellen und einen Fragebogen ausfüllen, was ihr beides gehörig gegen den Strich ging: «Maike, Hausärztin, geboren in Oldsum auf Föhr, geschieden in Hamburg, Lieblingsmusik: unberechenbar von Mozart bis Pop. Hobby: Siebenkampf, am liebsten mag ich Weitsprung, was ich wegen meiner langen Beine am besten kann. Anmerkung: Ich habe das Abo für diese Seite von meiner besten Freundin geschenkt bekommen, sonst wäre ich nie auf die Idee gekommen.»
«Klingt nicht gerade einladend», fand Carla. Trotzdem hatten sich ziemlich viele Männer darauf gemeldet, darunter großkotzige Geldsäcke, Muttersöhnchen und Landwirte, ein Marineoffizier aus Paraguay und ein Lehrer aus der Schweiz. Einer schrieb, dass auch er das Abo zum Geburtstag geschenkt bekommen habe und nicht so recht wisse, was er davon halten solle. Den fand sie sympathisch. Das Foto zeigte einen freundlichen Mann mit hoher Stirn, neugierigen grünen Augen und einem leicht skeptischen Lächeln. Er hieß Rainer Martens und betrieb ein kleines Familienhotel im Osten von Sylt, weit weg von jedem Rummel. Rainer hatte den Bauernhof seiner Eltern zum Hotel umgebaut, kam also wie sie aus der Landwirtschaft. Aber es waren nicht diese Gemeinsamkeiten, die sie
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