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Oma dreht auf

Oma dreht auf

Titel: Oma dreht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Mommsen
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hatten, als sich restlos mit Alkohol voll zu saugen.
    «Hast du Christa gesehen?», fragte Ocke.
    Auf der anderen Hausseite ließ es Herr Bösinger nun richtig krachen:
Go, tell it on the Mountains, that Jesus is everywhere
 …
    Imke schüttelte den Kopf: «Nee, schon lange nicht mehr.»
    Hatte sie sich etwa mit dem Kerl in ihr Zimmer zurückgezogen?
    Und dann entdeckte er Christa, sie kam vom Deich direkt auf das Haus zu. Ihr Gesicht war in der Dunkelheit nur undeutlich zu erkennen, aber ihr weißes Kleid leuchtete ihm entgegen. Offenbar hatte sie sich kurz die Beine vertreten. Neben ihr ging ein Mann, der ein Fahrrad schob: Das musste er sein.
    Ein ganzer Chor von Stimmen in Ockes Kopf schrie: «Tu es nicht!» Er rang nach Luft und ging mit großen Schritten auf das Paar zu.

[zur Inhaltsübersicht]
    9. Engtanz
    Ocke hatte sich geirrt. Der Mann neben Christa war der bärtige Vogelwart Markus Clausen, der in dem Föhrer Chor namens «Seevögel» sang und über den Christa sich gerne wegen seines übertriebenen Öko-Gehabes lustig machte. Dass er die Vogelkoje in Oldsum betreute und die Vögel in der Godelniederung zählte, fand Ocke durchaus lobenswert – ohne Sandregenpfeifer, Kiebitze und Sturmmöwen wäre Föhr nicht Föhr. Aber musste man deswegen zwanghaft die grünen Tonnen der Insulaner nach Plastikresten durchsuchen und den Sündern penetrant mit Bußgeldern drohen?
    Markus schob sein teures, auf alt gemachtes Manufactum-Rad neben sich her und trug seinen üblichen Aufzug: Cargohose und kariertes Öko-Hemd, Wanderschuhe.
Der
war mit Sicherheit nicht ihr Lover. Als Ocke ihnen entgegenkam, sah Christa ihn erfreut an.
    «Ocke, gut dass du kommst …!»
    Als er das hörte, hätte Ocke vor Freude am liebsten auf der Straße getanzt. Spontan lud er Markus auf ein Glas ein, doch der war gar nicht in Feierstimmung.
    «Das geht
gar
nicht!», greinte Markus gegen den Wind.
    Ocke lachte.
    «Was geht nicht?»
    «Hier ist ein Biosphärenreservat, die Tiere brauchen Ruhe.» Markus’ braune Augen funkelten bedrohlich.
    «Komm, Imke wird nur einmal achtundsiebzig.»
    Inzwischen hörte sich Bösingers Musik an wie die
Einstürzenden
Neubauten
, und zwar im wörtlichen Sinn.
    «Es ist wohl einer ihrer letzten Geburtstage», ergänzte Christa.
    Markus verzog das Gesicht, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. «Dann sollte ihr die Natur nicht egal sein, schon wegen der kommenden Generationen.» Er konnte ein furchtbarer Prinzipienreiter sein.
    «Es gibt manchmal auch Ausnahmen, Markus», sagte Ocke und gab ihm einen aufmunternden Klaps auf den Oberarm.
    «Nicht für die Tiere.»
    «Willst du Imke nicht wenigstens gratulieren?» Ocke wollte in diesem Moment wirklich nicht über den Zustand des Planeten diskutieren.
    «Erst, wenn ihr die Musik runterdreht.»
    Kaum zu glauben, dass Markus mit Abstand der beste Elvis-Imitator der nordfriesischen Inseln war und damit sogar Geld verdiente. Das bekam man einfach nicht zusammen.
    «Nun sei mal nicht so spießig, dann pennen die Piepmätze morgen halt etwas länger aus», sagte Ocke.
    Christa lachte herzlich.
    Doch das war für Markus offenbar die vollkommen falsche Ansage.
    «Ihr findet das wohl auch noch witzig, oder was? Ich rufe jetzt die Polizei.»
    Ocke und Christa sahen sich an. Es hatte keinen Zweck mehr.
    Was Markus auch fand.
    Wortlos schwang er sich auf sein Edelfahrrad und zückte nach ein paar Metern sein Handy.
    Bösinger tobte sich inzwischen immer mehr aus, schrie Obszönitäten durchs Mikro und veranstaltete mit der Gitarre maximalen Krach. Vielleicht sollte man ihn wirklich abstellen, dachte Ocke, aber er hatte keine Lust, sich mit dem Mondgesicht anzulegen. Gemeinsam mit Christa ging er zurück zum Haus.
    Es gab auch ansonsten erste Verfallserscheinungen. Arne zum Beispiel knutschte im Vorgarten wild mit Tamara aus Bottrop rum, was an sich vielleicht nicht bemerkenswert gewesen wäre – wenn sich der Körperkontakt auf die beiden beschränkt hätte. Dem war aber nicht so. Denn hinter Arne saß Frau Bösinger, den Kopf an seinen Rücken gelehnt, die Hand an seinem Nacken, während ein stetiger Speichelfaden aus ihrem halb geöffneten Mund rann. Offenbar war sie in dieser Position eingenickt. Arne schien nicht mal zu bemerken, dass nicht alle Arme, die ihn berührten, zu Tamara gehörten.
    «Lass uns reingehen», schlug Ocke vor und schlenderte mit Christa zurück ins Haus. Im Gemeinschaftszimmer kam ihnen Musik aus den Achtzigern entgegen. Das

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