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Oma dreht auf

Oma dreht auf

Titel: Oma dreht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Mommsen
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auf der Insel gewesen, sie liebte die Austernfischer und Schilfrohrsänger, voller Ehrfurcht beobachtete sie, wie sie sich über dem Wattenmeer scheinbar mühelos und spielerisch treiben ließen. Vor Jahren hatte sie sogar eine verletzte Mönchsgrasmücke in ihrem Wohnzimmer durch den Winter gebracht. Regina hatte sich mit Sicherheit an die Geschichte erinnert, denn sie hatte bei der Fütterung geholfen. Und nun schenkte sie ihrer Mutter die Gelegenheit, ihre Heimat aus der Perspektive eines Vogels zu sehen! Das erste Mal seit Jahren hatten sich Mutter und Tochter mit feuchten Augen in den Armen gelegen. Und
das
war für sie das schönste Geschenk des Abends gewesen. Sie konnte stolz auf ihre Familie und ihre Freunde sein, dabei hatte sie es ihnen bestimmt nicht immer leicht gemacht.
    Im Haus regte sich immer noch nichts. Also ging Imke in die Küche, um Kaffee zu machen, die anderen würden bestimmt bald aufwachen. Auf dem Flur wäre sie fast über ihren ältesten Sohn Arne gestolpert, der in Kleidern und ohne Decke auf dem Boden lag.
    Hatte er vorhin schon hier gelegen? Sie erinnerte sich nicht. Was machte er hier?
    Ein Stückchen weiter entdeckte sie eine sehr blonde Frau auf dem Bastläufer, ihr dunkelroter Pullover war hochgerutscht und zeigte sehr viel weiße Rückenhaut. Imke erinnerte sich, dass sich Arne und diese Frau auf der Party gut verstanden hatten – und mehr als nur das. Wogegen ja nichts einzuwenden war. Aber warum waren die beiden nicht ganz normal zusammen ins Bett gegangen?
    Was sie richtig aufregte, waren die Bösingers, denn die schliefen im Gemeinschaftszimmer auf dem Teppich. Dabei hatte sie ihnen doch extra ihr Bett überlassen und bei Christa genächtigt, die wiederum auf eine Luftmatratze ausgewichen war. Dieses ganze Hin und Her hätten sie sich sparen können.
    Jetzt kam Christa im Pyjama in die Küche geschlurft und sah erstaunlich frisch aus – abgesehen davon, dass sie sich stöhnend den Kopf rieb.
    «Imke, deine Bowle war der Tod», beschwerte sie sich. «Ich habe zwar nur zwei Gläser getrunken, aber die haben mich aus den Latschen gehauen.»
    «Die Jugend von heute kann einfach nichts mehr ab!», gab Imke lachend zurück.
    «Das mit der Jugend nehme ich als Kompliment», erwiderte Christa.
    Ein paar Minuten später war die Blonde aufgewacht und packte trotz ihres heftigen Katers beim Aufräumen beherzt mit an, ihre blaue Mülltüte war schnell gefüllt. Christa deckte währenddessen auf der Terrasse den großen Tisch für das Frühstück. Bald standen darauf ein Kännchen Tee, eine Thermoskanne mit Kaffee, Orangensaft, salzige Heringe, Käse und Wurst. Wer wollte, konnte auch selbst eingekochte Marmelade essen.
    Die ambossförmige Wolke im Norden wuchs indessen weiter, sie war bestimmt schon einige Kilometer hoch und verdeckte jetzt fast vollständig den Himmel. Ocke kam auf die Terrasse geschlurft, er trug wieder sein blau-weiß gestreiftes Fischerhemd und setzte sich nach einem muffeligen «Moin» an den Tisch, ohne mit irgendjemand Blickkontakt aufzunehmen. Ihn musste es am Vorabend schwer erwischt haben. Er wirkte schwächlich und grau, als färbte der Himmel auf ihn ab.
    Dann folgte Arne mit verquollenem Gesicht. Mit seinen blond gefärbten Haaren sah er an diesem Morgen aus wie ein abgehalfterter Schlagersänger, den nicht einmal mehr Möbelhäuser in der tiefsten Provinz buchen wollten. Er gab der Blonden die Hand.
    «Moin, ich bin Arne aus Utersum.»
    Alle schauten betreten zu Boden. Peinlicher ging es nicht. Am Abend hatten die beiden noch miteinander geknutscht, was in Arnes Hirn offensichtlich komplett gelöscht worden war. Mit Sicherheit war die Blonde jetzt beleidigt, und zwar zu Recht.
    «Hallo, nett dich kennenzulernen», sagte die Blonde ungekünstelt. «Ich bin die Tamara aus Bottrop.»
    Glück gehabt, mein Sohn, dachte Imke, auch Tamara scheint vergessen zu haben, was gestern Nacht passiert ist.
    Mehr oder weniger angeschlagen schaute die gesamte Tischgesellschaft in die Marsch, die flach und grün unter dem sanftgrauen Himmel vor ihnen lag. Tamara zeigte einen unersättlichen Appetit auf eingelegte Heringe und konnte auch nach dem dritten nicht Schluss machen.
    Imke strahlte zufrieden in die Runde: «Vielen Dank an euch alle! Das war eine wunderbare Party.»
    Tamara war vollkommen ihrer Meinung: «Menschenskinder, ihr Friesen könnt vielleicht feiern, das glaubt kein Schwein. Das ist heftiger als der Kölner Karneval.»
    Imke, stolze Friesin, die sie war, nahm

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