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Oma dreht auf

Oma dreht auf

Titel: Oma dreht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Mommsen
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sollte er Imke das erklären?
    Nicht
eine
gute Ausrede fiel ihm ein, das war das Schlimmste, und Imke wurde nur einmal achtundsiebzig.
    Nein, das hatte sie nicht verdient.
    Er rief Hinnerk durch die geöffnete Scheibe etwas zu, was der nicht verstand, legte den Rückwärtsgang ein, und kurze Zeit später fuhr er über die Traumstraße hinter Nieblum in die Witsumer Marsch – eine weite grüne Fläche, die von keinem Deich begrenzt wurde. Über die See hinweg blickte man auf den Leuchtturm von Nebel auf Amrum. Ocke fuhr bis ans Wasser, wo schwere Wogen gegen den Strand schlugen, dann hielt er an. Eigentlich sollte er jetzt hier mit Christa sitzen und seinen Arm um sie legen.
    Reine Phantasie.
    Ocke kurbelte sämtliche Fenster im Wagen runter, damit der starke Wind hindurchgehen konnte. Es bildeten sich wilde Turbulenzen, die das Auto zum Vibrieren brachten. Im Radio vernahm er, dass vor Sylt ein Segelboot im starken Wind gekentert war. Wäre nicht alles einfacher, er wäre an Bord dieses Bootes gewesen? Eine bessere Ausrede, nicht zu feiern, konnte es gar nicht geben – natürlich nur, wenn er gerettet würde, das sollte schon sichergestellt sein …
    Regungslos blieb er im Wagen sitzen und versuchte, an gar nichts zu denken.
    Sinnlos, Christa ließ sich nicht vertreiben.
    Eine Stunde später fuhr er nach Nieblum zurück, drehte aber schnell wieder um: zu viele Menschen.
    Schließlich landete er auf einem schmalen Wirtschaftsweg, der zur Kurklinik in Utersum führte. Zwei blond gefärbte Frauen wanderten vor ihm auf der Straße, beide in knielangen Hosen. Die eine trug einen figurbetonten dunkelroten Pullover, die andere ein weißes T-Shirt. Sie mussten sich leicht nach vorne beugen, um gegen den Wind anzukommen, abgesehen davon schienen ihre Korksandalen mit den hohen Absätzen zum Wandern nicht besonders geeignet. Ocke beschloss, nicht zu überholen, denn er hatte es ja nicht eilig. Als die Frauen ihn bemerkten, sprangen sie zur Seite, um ihn vorbeizulassen. Er hielt jedoch direkt neben ihnen. Zwei stark geschminkte Augenpaare starrten ihn neugierig an, Ocke schätzte sie auf Mitte vierzig. Der rote Pullover der einen bot einen großzügigen Blick auf ein mächtiges Dekolleté, auf dem weißen T-Shirt der anderen stand in lila Schrift: «Selbst die Nostalgie war früher besser.»
    Was hervorragend zu seiner morbiden Stimmung passte.
    «Kann ich euch mitnehmen?», erkundigte sich Ocke.
    «Ohne Moos nichts los», bedauerte die mit dem roten Pullover und lachte. Ihre blondierten Haare flogen im Wind nach allen Seiten. Sie trug für Ockes Geschmack zu viel grünen Lidschatten. Ihre Begleiterin sah aus wie ihre gleichaltrige Schwester, nur mit blauem Lidschatten.
    «Heute ist euer Siegertag», sagte Ocke. «Ihr bekommt ’ne Freifahrt, wohin ihr wollt.»
    «Echt?»
    Sie stiegen hinten ein.
    «Wo soll’s denn hingehen?», fragte Ocke
    Die beiden sangen sofort laut los: «Mit einem Taxi nach Paris, nur für einen Tag …»
    «Wo da genau?»
    «Champs-Élysées.»
    «Geit klor.»
    In seiner Lage wäre er liebend gerne nach Paris gefahren. So eine Tour bekommt man nur einmal im Leben, außerdem wäre das wirklich eine plausible Ausrede gewesen.
    «Wo wohnt ihr auf Föhr?», er sah in den Rückspiegel.
    «In der Kurklinik», antwortete die eine
    Ihre Freundin erklärte grölend: «Aber heute haben wir Freeiiiiiigang.»
    Offensichtlich hatten sie den «Freiiiiiigang» schon etwas begossen. Plötzlich kam Ocke eine Idee.
    «Hättet ihr spontan Lust auf ’ne echte Insulanerparty?»
    «Wie läuft das denn so bei euch Eingeborenen?»
    «Ganz normal, mit Lagerfeuer und Menschenopfern.»
    «Gebongt.»
    «Super!», Ocke lächelte still in sich hinein. Jetzt hatte er zumindest eine Art Schutzschild gegen Christa. Manchmal konnte das Leben so gnädig sein.
     
    Als sie zehn Minuten später auf das WG -Haus in Dunsum zufuhren, krampfte sich sein Magen zusammen. Der Friesenwimpel über dem Haus stand so gerade in der steifen Brise, als sei er aus Holz, das sah nach einer typischen Föhrer Gartenparty aus. Die Gäste würden sich beim Sprechen und Tanzen immer gegen den Wind stemmen müssen, lange Haare sollten gut zusammengebunden sein. Ocke zoomte, noch immer im Wagen, jeden Winkel ab, den er einsehen konnte: Wo war Christa?
    Und noch wichtiger:
Wo war ihr Kerl?
    Auf dem Tisch neben dem Eingang standen die vier riesigen Bowletöpfe und zahlreiche Gläser, die leicht im Wind schepperten. Imke hockte auf einem Klappstuhl daneben und

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