Oma dreht auf
Entscheidung zum Glück zuvorgekommen, indem sie auf eigene Faust mit Christa zu Ocke nach Dunsum gezogen war.
Regina setzte noch einen drauf: «Wir sollten Mama von der Insel aufs Festland bringen. Mit etwas Abstand könnte alles viel entspannter sein.»
In diesem Moment hörte der Regen schlagartig auf, und die Sonne eroberte einen kreisrunden Ausschnitt über den Dünen von Amrum.
«Oma hat ihr Leben lang auf Föhr gelebt», empörte sich Sönke. «Du spinnst ja wohl total!»
Jetzt stiegen Regina die Tränen in die Augen. «Im Gegensatz zu dir bin ich gebürtige Insulanerin. Und ich möchte weiter hier leben, und zwar ohne ständigen Ärger! Ich werde hier noch zur Außenseiterin. Das klingt vielleicht egoistisch, aber es ist so.»
Sönke schnappte nach Luft. «Oma ist vollkommen klar. Okay, sie hatte zwischendurch eine kleine Schwächeperiode, aber was soll sie in einem Heim?»
«Genau umgekehrt, mein Lieber! Mama ist altersschwach und hatte gerade ihre letzte Hochphase.»
«Quatsch.»
«Mann, Sönke, Imke dreht nicht auf – sie baut ab! Das wird uns allen mal so gehen.»
«Mag sein, aber zurzeit ist sie vollkommen klar.»
Regina hob abwehrend die Hände.
«Kompromiss!», rief sie, «das mit dem Festland vergessen wir. Aber in der Wohngruppe ‹Schmetterlinge› hier in Utersum ist ein Platz frei geworden …»
«Schmetterlinge? So nennt man Wickelgruppen in Kindergärten.»
«Du bist Mamas gesetzlicher Vormund, Sönke. Und du hast Christa als Pflegerin eingesetzt.»
«Dazu stehe ich auch!»
«Omas Wattwanderung und die Party werden sich bis zum Amt herumsprechen, da sei mal sicher.»
«Soll das eine Drohung sein?»
«Imke ist immer noch meine Mutter, und ich möchte, dass es ihr gut geht. Ich möchte, dass Christa die Pflege abgibt, sonst garantiere ich für nichts.»
«Und wie soll es ohne Christa weitergehen in der WG ?»
«Gar nicht.»
Sönke erhob sich. «Ich rede erst einmal mit Christa, ja? Dann sehen wir weiter.»
Das hätte er nach Omas Wattwanderung längst tun sollen. Hoffentlich war es noch nicht zu spät.
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13. Oma dreht auf
Am nächsten Morgen saß Imke an ihrem Schreibsekretär und fummelte am DVD -Player herum. Sie wollte sich ihren Geburtstagsfilm noch einmal ansehen, um vielleicht mehr über die Geschehnisse auf ihrer Party zu erfahren. Wen sie auch fragte, alle hielten sich bedeckt und wollten sie schonen, was sie maßlos ärgerte. Als wenn sie nicht mitbekommen hätte, wie Brockstedt seine Vorladungen an Arne und die Bösingers verteilt hatte!
Sie war so aufgewühlt, dass sie alles falsch machte und auf dem Display schließlich das böse Wort «Error» erschien.
«Du verfluchtes Miststück», schnauzte Imke den DVD -Player an, als würde das etwas ändern.
Da klopfte es an der Tür. Ihre Enkelin Maria kam in ihrer dunklen Uniform herein. Sie stand ihr hervorragend, wie Imke immer wieder feststellte. Auf jeden Fall besser als die schrecklichen Vorgängermodelle «Förstergrün mit kackbeiger Hose».
Marias schaukelnder Gang wirkte allerdings auf Imke immer etwas zu männlich, was so gar nicht zu ihrem feinen Gesicht mit den großen braunen Augen passte. Deswegen hatte sie früher wie eine Ballettmeisterin versucht, der pubertären Maria einen weiblichen Schritt beizubringen – vergeblich. Der Gang gehörte einfach zu ihr, und als Polizistin musste sie ja nicht auf den Laufsteg.
«Moin, Oma.»
«Moin, mien seuten Deern.»
Maria küsste sie auf die Wange.
«Es ist keiner da, und die Haustür war auf», sagte Maria mit sanftem Tadel. In Föhr wurden Wohnungen traditionell nicht abgeschlossen, obwohl es immer mehr Diebstähle gab.
«Setz dich doch.»
«Ich habe leider wenig Zeit, Oma, ich bin im Dienst.»
«Schade.»
Imke liebte ihre Enkelin sehr. Im Alter von drei Jahren war sie von ihrem Sohn Arne adoptiert worden, als Marias Hippiemutter sich nach Indien aufgemacht hatte. Da Arne als allein erziehender Vater nicht immer Zeit gehabt hatte, war Imke oft und gerne eingesprungen. Und was das Schönste war: Maria hatte ihren Lieblingsenkel Sönke geheiratet!
«Hat schon jemand mit dir über die Party geredet?», fragte Maria. «Ich meine, über den Polizeieinsatz?»
«Nein, die halten mich alle für zu blöd.»
«Genau das habe ich befürchtet. Aber ich finde, du sollst wissen, was da los war. Immerhin geht es auch um Arne.»
Maria legte eine DVD auf Imkes Schreibsekretär.
«Es gibt eine Aufzeichnung vom Einsatz. Aber die hast du nie
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