Oma dreht auf
und Tochter ein neues Kapitel in ihrer Beziehung aufgeschlagen hätten. Doch das war wohl nur ein Wunschtraum gewesen.
«Was die Leute reden, ist Rufmord», begann Regina.
«Die hören auch wieder damit auf, du kennst das doch», hielt Sönke dagegen. Schade, dass Maria nicht dabei sein konnte, Brockstedt hatte sie mit seinem blöden Bericht in Beschlag genommen. Sie hätte ihn sicher unterstützt.
«Im Geschäft wollen die Leute keine Brillen mehr von mir kaufen», jammerte Regina.
«Du übertreibst», sagte Arne.
Regina lächelte ihn säuerlich an: «Kommst du jetzt eigentlich in den Knast, Bruderherz? Oder wie ist da der Stand?»
Arne sah sie wütend an. «Das geht dich nichts an», zischte er.
Der Regen wurde stärker, und Sönke zog die Beine ein.
«Das fällt alles auf unsere Familie zurück», sagte Regina.
«Wenn das deine einzige Sorge ist», erwiderte Sönke. «Hast du uns wegen Arne zusammengetrommelt?» Er war nicht gekommen, um einem Geschwisterkrieg beizuwohnen.
«Nein. Die wichtigere Frage lautet: Ist die WG der richtige Umgang für Mama?»
Nun war es raus.
«Christa und Ocke kümmern sich rührend um sie», sagte Sönke, wohl wissend, dass das vielleicht nicht ganz der Wahrheit entsprach.
Regina verzog höhnisch das Gesicht.
«So sehr, dass sie auf eigene Faust nach Amrum wandert und sich in fremde Betten legt?»
«Besser als eingesperrt», brummte Sönke.
Doch Regina wusste noch mehr: «Christa ist zurzeit vollkommen von der Rolle. Die hängt auf dem Sandwall rum und baggert junge Männer an.»
«Sagt wer?», fragte Arne.
«Karen-Ann. Sönke hat es heute Morgen selbst mit angehört, als er bei mir im Laden war, oder, Sönke?»
«Christa sieht toll aus, warum denn nicht?»
«Die kann einfach nicht älter werden.»
«Das regelt der Markt, würde ich sagen. Entweder klappt es …»
«… oder sie macht sich lächerlich!», keifte Regina. «Christa steckt in einer Lebenskrise. Das könnte uns ziemlich egal sein, wenn sie sich ordentlich um Mama kümmern würde. Aber das tut sie nicht.»
«Ocke ist ja auch noch da», wandte Arne ein.
«Dasselbe in Grün! Macht einen auf Rocker, außerdem soll er heimlich saufen.»
«Wenn er es heimlich macht, woher weißt du es dann?»
Wirklich, das war ein reines Vorurteil, weil Ocke Seemann war. Da war nichts dran. Ocke trank schon mal einen, aber seltener als Sönke, und der trank nun echt nicht viel. Als Taxifahrer konnte sich Ocke in dieser Hinsicht ohnehin keinen Schnitzer erlauben.
«Ich habe ihn doch selbst auf der Fete erlebt. So etwas erkennt man, wenn man auch mal an der Flasche hing.»
Tatsächlich war Regina seit zwei Jahren trockene Alkoholikerin und hatte zwanzig Kilo abgenommen, das musste man ihr hoch anrechnen. Doch leider hatte sie sich zu einer Missionarin entwickelt, die strikte Zurückhaltung von sämtlichen Mitmenschen in ihrer Umgebung forderte, was ihr nicht nur Sympathien einbrachte …
«Auf der Fete gehörte er zu denen, die am wenigsten getrunken haben», sagte Sönke.
«Außerdem haben wir da alle keine gute Figur gemacht», seufzte Arne.
«Ich schon», sagte Regina.
«Natürlich.»
«Ich habe auf der Feier nichts getrunken, mir kann man nichts vorwerfen. Im Gegensatz zu dir, Arne, denn du hast das mit dem Trinken gar nicht mehr im Griff.» Regina machte eine kurze Pause. «Wir sind die kaputteste Familie auf ganz Föhr», fügte sie hinzu.
«Und? Sollen wir jetzt eine Familientherapie machen, oder was?» Sönke hasste Reginas Übertreibungen.
«In einer betreuten Wohngruppe wäre das alles nicht passiert», stellte Arne fest.
Das kam überraschend. Bisher hatte Arne immer zu Omas WG gestanden und ein Heim kategorisch abgelehnt. Sönke war plötzlich enttäuscht von seinem Onkel und Schwiegervater. Dieser Mann war einmal sein Vorbild gewesen: der erste Surflehrer der Insel Föhr!
«Spinnst du?», sagte er.
«Betreutes Wohnen ist im Grunde nichts anderes als eine WG , nur dass die Betreuer ihre Aufgabe ernst nehmen», stimmte Regina ihrem knapp zwanzig Jahre älteren Bruder zu. «Frag mal die Leute, die da wohnen, die fühlen sich sauwohl!»
«Wahrscheinlich hast du recht», sagte Arne.
Sönke verstand die Welt nicht mehr, was war nur mit Arne los? Die Heimdiskussion hatten sie vor einem Jahr schon mal geführt, als Oma den Herd angelassen und damit fast ihre Wohnung am Sandwall abgefackelt hätte. Da war Arne noch empört gewesen, dass ein Heim überhaupt in Erwägung gezogen wurde. Oma war einer
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