Oma dreht auf
gesehen, klar? Auch Sönke muss davon nichts erfahren.»
Imke hob scherzhaft den Zeigefinger.
«Hast du etwa Geheimnisse vor deinem Mann?»
Maria nickte.
«Ich fürchte, er hätte gute Argumente gegen das, was ich hier gerade mache.»
«Danke.»
Nachdem Maria für ihre Oma die DVD eingelegt hatte, gab sie ihr einen Kuss auf die Wange und verschwand wieder.
Imke blickte gespannt auf den Bildschirm.
Zuerst erschien eine Zahl in einer Ecke des Monitors, vermutlich das Datum, aber es war zu klein, um es entziffern zu können. Dann folgte die akustische Aufzeichnung des Notrufs von Vogelwart Markus Clausen:
«Die Alten- WG in Dunsum macht einen Höllenlärm! Das könnt ihr euch nicht vorstellen, die drehen vollkommen durch.»
«Ich kann dich kaum verstehen», kam es zurück.
«Ruhestörung in Dunsum», brüllte Markus.
Schnitt.
Im Licht eines Handscheinwerfers war eine Frau in dunkelrotem Pullover zu sehen, das Bild wackelte stark. Sie lag vor der Holzwand der Dunsumer Bushaltestelle, an der wild durcheinander Plakate klebten; Anzeigen fürs Sommerfest der Föhrer Landfrauen, für einen Yoga-Kurs bei Frau Ranga Janzen, Hinweise auf den Wyker Fischmarkt und ein Kirchenkonzert in St. Laurentii.
Schnitt.
Gegenüber der Bushaltestelle war eine Person zu sehen, die mit bizarr verrenkten Gliedmaßen unter dem Schaukasten der Maklerfirma Densch & Schmidt lag. Das Motto der Firma blitzte kurz im Scheinwerferlicht auf: «Leben, wo der Wind weht.»
«Mist», entfuhr es Polizeimeister Markhoff, «das ist Arne.»
Imke schaute genau hin, aber selbst sie hätte ihren Sohn kaum erkannt.
Markhoff fühlte ihm den Puls.
«Der ist noch warm», stellte er erleichtert fest.
Plötzlich öffnete Arne die Augen und lallte: «Was wollt ihr blöden Bullenschweine?»
Markhoff nahm sein Funkgerät in die Hand: «Wir bräuchten mal den Notarzt nach Dunsum in die Dorfstraße …»
«Kein Arzt!», lallte Arne und rüttelte ihn am Arm, woraufhin der Polizist ins Stolpern geriet.
Markhoff missverstand das als Angriff und wehrte sich nach Kräften, was Imke reichlich übertrieben fand. Aber auch ihr Arne, das musste sie zugeben, teilte mächtig aus.
Schnitt.
Danach zeigte die Kamera Herrn Bösinger, der einen irrsinnigen Krach mit seiner Gitarre veranstaltete und mit glasigen Augen unverständliche Wortfetzen ins Mikrophon schrie. Gerald Brockstedt und Peter Markhoff forderten ihn höflich auf, die Anlage auszustellen, was er überhaupt nicht einsah. Frau Bösinger stand daneben und bedrohte die beiden mit einem Tortenmesser. Daraufhin schritt Brockstedt selbst zur Tat und zog den Stecker. Bösinger stürzte mit umgehängter Gitarre auf die beiden Ordnungshüter los: «Ihr Arschlöcher, euch mache ich fertig, ihr verblödeten Hurensöhne!»
Das reichte. Imke hielt den Film an, sie wollte dieser Tragödie nicht länger zusehen. Es war schlimmer, als sie befürchtet hatte. Ihre Bowle war einfach zu stark gewesen, und deswegen musste ihr Sohn jetzt vielleicht ins Gefängnis.
Sie schaute aus dem Fenster und dachte nach. Es gab nur eine Chance, Arne zu helfen: die hohe Kunst der Föhrer Inseldiplomatie. Sie musste direkt mit Brockstedt reden und ihn dazu bringen, die Angelegenheit anders zu regeln als mit dem Staatsanwalt in Niebüll.
Natürlich hätte sie Ocke bitten können, sie zu fahren, aber erstens nahm sie ihn ohnehin schon zu viel in Anspruch, und zweitens war es für ihre Mission besser, sie tauchte allein bei Brockstedt auf. Und zwar heute noch. Ein Überraschungsangriff funktionierte immer am besten.
Sie blickte hinüber auf die Deichkrone und sah eine Traube bunt gekleideter Touristen zur Haltestelle trotten. Sollte sie sich zu ihnen in den vollen Bus nach Wyk zwängen, der auch in Midlum hielt, wo sie hin musste? Aber wie käme sie dann von dort weiter, falls das nötig war?
Imke zückte eine Tablettenpackung und zögerte einen Moment. Die mahnenden Worte ihres Hausarztes kamen ihr in den Sinn: «Dieses Mittel ist nur für den Notfall, es geht auf die Nieren und kann abhängig machen.»
War das mit achtundsiebzig noch irgendwie wichtig?
Dr. Behnke hatte ihr empfohlen, mit einer Tablette anzufangen, aber Imke beschloss, dass sie keine Zeit hatte, vorsichtig zu sein, und schluckte gleich zwei auf einmal. Dann legte sie sich aufs Sofa, um die Wirkung abzuwarten. Und tatsächlich, das Zeug schlug phänomenal an, Minute für Minute ging es ihr besser. Das bezahlte sie zwar mit einem Rauschen in den Ohren, das sich
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