Oma dreht auf
Lied schon, aber nicht auf Deutsch, sondern in der Originalsprache der Kiri-Batis, wie es ihm ein Seemannskollege an Bord eines Containerfrachters beigebracht hatte. In dem unbekannten Südsee-Dialekt klang alles völlig unverfänglich.
«Das Lied ist total schön», sagte Christa und strich sich das Haar hinters Ohr. «Worum geht es darin?»
Ocke strich verlegen über den Gitarrencorpus.
«Um einen bunten Fisch in einer Lagune, der den Frieden in die Welt bringt.» Er wunderte sich selbst, dass ihm das spontan eingefallen war.
Christa strahlte ihn an: «Herrlich.»
Ocke freute sich, dass es ihr gefiel. Doch so schön das war, so kamen sie nicht weiter. An diesem Tag ein zweites Mal Christas Hand zu nehmen, traute er sich allerdings auch nicht, trotz der traumhaften Kulisse. Immerhin hakte sich Christa auf dem Rückweg zum Taxi bei ihm ein.
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25. Wohnung auf Rezept
Imke setzte ihre Schonphase fort. Sie ließ die Aufputschmittel von Dr. Behnke weg, schlief einige Tage lang jeden Morgen bis neun und legte sich nach dem Frühstück auf die Terrasse. Nach dem Mittagessen döste sie noch einmal von eins bis drei, die klassische Mittagsruhe, die es über weite Teile ihres Lebens gegeben hatte. Damals waren die Geschäfte sogar um diese Zeit geschlossen, wie übrigens auch am Mittwochnachmittag. Nach der Tagesschau verschwand sie zur besten Sendezeit um 20 . 15 Uhr im Bett. Leider änderte das nur wenig, die Kraft kam einfach nicht wieder. Ihr war oft schwindelig, und sie fühlte sich die meiste Zeit schlapp.
Am Dienstag kam ihr geliebter Enkel Sönke zu Besuch, um zu sehen, wie es ihr ging. Zum Glück lag sie da zufällig nicht im Bett, sondern saß in der Küche und trank einen unglaublich gesunden Kräutertee, der zum Speien schmeckte.
«Wo sind Ocke und Christa?», fragte Sönke.
«Mal wieder auf Wohnungssuche.»
«Sind die beiden jetzt ein Paar?» Nach dem Ständchen, das er mit angesehen hatte, war das eine durchaus berechtigte Frage.
«Wird sich zeigen.»
Plötzlich fing Sönke an, wie irre zu lachen, und dann tanzte er auch noch mit einem Stuhl.
«Und bei dir ist alles klar, mein Junge?», erkundigte sich Imke besorgt.
«Bestens!», schrie Sönke.
«Du bist seltsam, Sönke.»
Ihr Enkel tanzte weiter. «Ich freue mich über Christa und Ocke.»
«Nein.»
«Doch.»
Imke zog die rechte Augenbraue hoch. «Da ist noch was anderes.» Für bestimmte Dinge besaß sie einen untrüglichen Instinkt.
«Was meinst du?», fragte Sönke harmlos.
Plötzlich strahlte Imke, und ihr lief ein Schauer über den Rücken.
«Wenn ein Mann sich so verhält wie du, gibt es nur einen Grund dafür.»
«Er hat sich endlich sein Traumauto gekauft», juchzte Sönke und grinste ihr ins Gesicht.
Imke schüttelte den Kopf. «Nein, das andere.»
«Was meinst du, Oma?»
Ja, sie kannte ihren Enkel genau und war sich jetzt ganz sicher. «Ist es wahr?»
«Was denn?»
«Maria ist schwanger?»
Sönke schaute sie kurz etwas verunsichert an. «Jaaaaaa!», schrie er dann und schien sich kein bisschen für die Tränen zu schämen, die ihm die Wangen hinabliefen. «Und weißt du, Maria ist sich jetzt schon ganz sicher, dass es ein Mädchen wird. Und wir wollen sie Imke nennen, nach dir!»
In diesem Moment spürte Imke eine Kraft in sich aufsteigen, die die Wirkung der Tabletten von Dr. Behnke um ein Vielfaches übertraf.
Imke war den ganzen Tag überglücklich und sagte sich immer wieder den einen Satz auf: Ich werde Urgroßmutter! Ich werde Urgroßmutter!
Sönke und Maria würden tolle Eltern werden, da war sie sich sicher. Imke dachte an ihre eigenen Urgroßeltern zurück, die sie nur aus Erzählungen kannte. Sie waren im 19 . Jahrhundert geboren, um 1860 , und es gab nur ein paar wenige Schwarzweißfotos von ihnen, mehr nicht. Ihr Urgroßvater hatte zeit seines Lebens einen Vollbart getragen und präsentierte sich um die Jahrhundertwende auf Bildern stets mit Monokel und feinem Anzug am Sandwall. Aber irgendwie war er ihr immer fremd geblieben. Tondokumente und Filme gab es in der Familie Riewerts erst seit den Super- 8 -Filmen der sechziger Jahre. Unter anderem war die Sandburg dokumentiert worden, die Sönke, Maria und Arne zusammen gebaut und für die sie einen Preis gewonnen hatten.
Hoffentlich erlebte sie noch die Geburt der Kleinen, dann würde sie sich mit dem Baby filmen lassen, und das Kind könnte später angeben: «Schau, ich habe noch meine Urgroßmutter kennengelernt.»
Imke freute
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