Oma klopft im Kreml an
Wege der Bürokratie nicht kannte, konnte er auch nicht wissen, daß Gespräche allein -und mochten sie noch so giftig sein - in Moskau zu nichts führten.
Boris’ Vorgesetzte hatten bereits ein Telegramm bekommen, ein offizielles Dokument aus Wilna, das deutlich schwarz auf weiß ankündigte, daß acht Mitglieder der Antifaschistischen Friedensliga auf dem Wege nach Moskau seien. An dieser offiziellen Situation ließ sich durch Rücksprache mit einem jungen Dolmetscher gewiß nichts ändern.
Boris hatte deshalb auch nur mit Nina, seiner jungen Kollegin, darüber gesprochen und sich im übrigen nicht einmal die Mühe gemacht, seinen Vorgesetzten Meldung zu erstatten. Sie hatten schon mit sehr schwierigen Delegationen zu tun gehabt, und im Vergleich dazu schien die augenblickliche ziemlich zahm.
«Trotzdem», hatte Nina gesagt, «auch hier herrschen Interessen- und Persönlichkeitskonflikte. So wie ich es sehe, akzeptiert die eine Hälfte - Mr. Cleghorn, Mr. Richards und vielleicht Mrs. Hoskins - Sir William als Anführer. Die andere Hälfte hält sich an Miss Baker. Die Stockwerksverwalterin hat mir erzählt, daß Mrs. Cartwright, von der man weiß, daß sie bedeutend ist, und Dr. Clark, der nichts sagt, aber weise aussieht, gestern nacht nach dem Bankett in Miss Bakers Zimmer waren. Wir wissen, daß sie dort eine halbe Stunde darüber diskutiert haben, wie sie Sir Williams Autorität untergraben können. Ich glaube, wir müssen vor allem versuchen, Miss Baker zufriedenzustellen. Sie ist ganz offensichtlich die Anführerin des linken Flügels der Delegation.»
So stellten Boris und Nina ihre subtilen, aber völlig falschen Überlegungen an und kamen bald zu einem ihrer Meinung nach völlig befriedigenden Kompromiß. Das Vormittagsprogramm ließen sie Sir William festlegen, und am Nachmittag richteten sie sich nach Miss Baker. Auf diese Weise hofften sie, die gesamte Delegation zufriedenzustellen.
Da diese jedoch bei dieser weisen Entscheidung nicht zu Rate gezogen worden war, konnte kein Mensch verstehen, warum das Nachmittagsprogramm stets geändert wurde.
Aber da die von Miss Baker vorgeschlagenen Ausflüge immer interessanter waren als die von Sir William, hatte niemand etwas dagegen einzuwenden. Außer Sir William natürlich, der durch die fortwährenden Programmänderungen einem Schlaganfall nahe war und sich endlos und völlig zwecklos bei Boris und Nina beschwerte.
Das endgültige Ergebnis jedenfalls war, daß Miss Baker - wie üblich -genau das tun konnte, was sie wollte.
4
«Wir müssen dafür sorgen, daß Miss Baker keine Gelegenheit bekommt, eine Rede zu halten», sagte Sir William grimmig, dem es unvorstellbar war, daß es jemand geben konnte, der die Gelegenheit, eine Rede zu halten, nicht mit beiden Händen ergriff und bis zum Letzten ausnutzte. «Wenn sie bei irgendeinem offiziellen Essen das wiederholt, was sie so ungeniert in aller Öffentlichkeit bei den Besichtigungen sagt, kann das für unsere Delegation sehr schädlich sein.»
Eine Zeitlang beobachtete Sir William sie mißtrauisch bei jedem der ausgiebigen Mittag- und Abendessen, die untrennbar zum Programm der Delegation gehörten. Aber da Miss Baker diesen Zeremonien entweder ganz fernblieb - indem sie Müdigkeit vorschützte - oder in trancegleicher Geistesabwesenheit dabeisaß, legte sich am Ende der zwei Wochen sein Mißtrauen allmählich. Er verstieg sich sogar so weit, ein joviales Wort einzulegen, als Nina und Boris Miss Baker zu überreden versuchten, am offiziellen Abschiedsessen teilzunehmen.
«Sie müssen unbedingt heute abend kommen», drängte er sie in der freudigen Gewißheit, daß es das letztemal sein werde. «Unsere Gastgeber würden es sehr übel vermerken, wenn einer aus unserer Gruppe fehlte.»
«Es werden sicherlich Reden gehalten», sagte Miss Baker ohne Begeisterung. Ihr war inzwischen aufgegangen, daß sie ihr winziges Kapital Zusammenhalten mußte, wenn sie noch länger in Moskau bleiben wollte. Die wenigen Mahlzeiten, die sie allein im Restaurant gegessen und selbst bezahlt hatte, waren so teuer gekommen, daß ein letztes freies Abendessen nicht zu verachten war.
«Ich selbst werde ein paar Worte sagen», erwiderte Sir William selbstgefällig. «Es wird nicht notwendig sein, daß sich die anderen Mitglieder der Delegation über die Verabschiedung von unsern lieben russischen Freunden Gedanken machen.»
Aber wie üblich schlug die ungeratene Delegation Sir Williams zarte Andeutungen in den Wind. Er hatte
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