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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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fußlahm und sehr ärgerlich über die Entdeckung, daß niemand im Hotel auch nur den leisesten Versuch machte, Englisch zu verstehen.
    So war sie in sehr kriegerischer Stimmung, als ihre standhafte Freundin, die junge Dolmetscherin, sie nach dem Essen am Kiosk in der Halle ansprach.
    «Ah», sagte Miss Baker erleichtert, jemand gefunden zu haben, der zumindest eine Abart ihrer Sprache redete. «Ich versuche gerade, dieser guten Frau hier klarzumachen, daß ich einen Stadtplan haben möchte.»
    «Einen Stadtplan?» fragte die Dolmetscherin mißtrauisch. «Was für einen Stadtplan?»
    «Einen einfachen Stadtplan von Moskau. Eine Straßenkarte. Ich habe zwar ein gutes Orientierungsvermögen, aber ich kaufe mir überall einen Stadtplan. Das vereinfacht die Sache sehr.»
    Die Dolmetscherin machte ein ablehnendes Gesicht.
    «Sie hat keinen.»
    «So? Dann können Sie mir vielleicht sagen, wo ich einen kaufen kann? In einem Papiergeschäft? Oder in einem der großen Kaufhäuser?»
    «Das glaube ich kaum. Wahrscheinlich sind keine vorrätig.»
    «Überhaupt keine? In ganz Moskau nicht?» Miss Baker war ganz ungläubig.
    «Irgendwo vielleicht, aber es ist sehr schwierig», seufzte die Dolmetscherin. Sie hatte diese Unterhaltung schon mit vielen Ausländern geführt. «Sehen Sie, unsere große Stadt dehnt sich fortgesetzt aus. Sie verändert sich in kurzer Zeit so stark, daß Stadtpläne zu schnell überholt sind, um ihre Herstellung rentabel zu machen.»
    Miss Baker strafte diese Erklärung mit Verachtung und hätte gern noch weitere Einwände vorgebracht, aber die Dolmetscherin warf schnell ein: «Ich habe das große Vergnügen, Ihnen mitteilen zu können, daß Ihr Besuch in einem Kindergarten für heute nachmittag vorgesehen ist.»
    Etwas ausgesöhnt ließ Miss Baker sich durch die großen Drehtüren geleiten und fand vor dem Haupteingang die bereits ungeduldig wartende Delegation vor.
    «Nun aber wirklich», explodierte Sir William, während man eilig zu den wartenden Wagen strebte. «Nach unserer gestrigen Unterhaltung habe ich nicht erwartet, daß Sie gleich am ersten Tag bei unsern Besichtigungen auftauchen.»
    Sir William war bereits verärgert, daß das Programm, das er erst heute morgen sorgsam geplant hatte, mittags plötzlich und unerklärlich geändert worden war, so daß es jetzt auch die Besichtigung eines Kindergartens einschloß, während er ausdrücklich gesagt hatte, daß er eine Autofabrik vorziehen würde.
    «Im Augenblick handelt es sich um meine Besichtigung», berichtigte Miss Baker ihn. «Wenn Ihre Delegation darauf besteht, mitzukommen, kann ich sie nicht daran hindern. Aber ich habe ganz unabhängig darum gebeten, durch einen Kindergarten geführt zu werden.»
    «Darüber bin ich sehr froh, Miss Baker», mischte sich Mrs. Hoskins als unerwartete Unterstützung ein. «Ich kann wohl sagen, daß durchaus nicht alle Mitglieder der Delegation die ganze Zeit Maschinen und Fabriken sehen wollen.»
    Mrs. Hoskins war erbittert über Sir Williams Anmaßung, das Programm nicht vorher mit ihr zu besprechen, und sie setzte sich im Auto in ostentativer weiblicher Solidarität neben Miss Baker.
    Sir William warf ihnen einen wütenden Blick zu und wandte sich suchend nach einem Dolmetscher um, an den er noch einmal einen würdevollen und zurückhaltenden Appell Miss Baker betreffend richten konnte.
    «Ich habe Ihnen doch heute morgen erklärt, daß Miss Baker kein Mitglied unserer Delegation ist», sagte er zu dem intelligenten jungen Mann namens Boris, mit dem zusammen er das Programm aufgestellt hatte. «Sie war doch auch nicht mit uns in der Keksfabrik», fügte er etwas unlogisch hinzu.
    «Nein», sagte Boris unbewegt. «Sie war müde.»
    «Ich weiß nicht, ob sie müde war oder nicht. Auf jeden Fall wußte sie, daß sie kein Recht hatte, uns zu begleiten.»
    «Aber sie hat doch eben gesagt, daß heute nachmittag Sie sie begleiten.»
    «Lieber junger Freund, ich sage Ihnen doch, sie ist ein völliger Außenseiter», rief Sir William empört.
    «Ein Außenseiter? Was ist das, bitte? Ich verstehe Sie nicht.»
    Boris sprach ausgezeichnet Englisch, aber gelegentlich hielt er es für nützlich, im Nebel der Ignoranz unterzutauchen. Sir William begegnete einer Wand höflicher Ablehnung. Weder in diesem Augenblick noch überhaupt während seines kurzen Aufenthalts in der Sowjetunion wurde Sir William klar, daß er jede Beschwerde, die Miss Baker betraf, hätte schriftlich einreichen müssen. Doch da er die seltsamen

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