Oma klopft im Kreml an

tun?» Jackie wurde immer elender zumute.
    «Sie behauptet, daß Miss Baker eine britische Spionin ist oder jedenfalls eine kapitalistische Provokateurin. Hier sind lauter Papiere, die ich noch nicht abgeheftet habe, und da drüben stehen noch die beiden roten Schachteln, und in der Registratur ist noch mehr. Ich bin vielleicht froh, daß ich das nicht mehr zu machen brauche. Ich komm nachher noch mal rein, falls du dich nicht zurechtfindest.»
    Jackie bemerkte kaum, daß June aus dem Zimmer ging. Sie ließ sich in den Stuhl an ihrem Schreibtisch sinken und begann, die Telegramme durchzusehen. In einem Ablagekorb lag ein Bündel Zeitungsausschnitte, und ihr Auge fiel auf eine der Überschriften. «Rätsel um Miss Baker noch ungelöst». Sie nahm den Ausschnitt, las die ersten Absätze und starrte entsetzt vor sich hin.

    Der Premierminister hat einen Bericht über die im Fall Baker unternommenen diplomatischen Schritte angefordert. Die Regierung ist sich darüber im klaren, daß diese Affäre, die bereits dazu geführt hat, daß eine sowjetische Delegation ihren Besuch in London abgesagt hat, sich zu einer Situation mit ernsthaften internationalen Rückwirkungen entwickeln kann.
    Der Premierminister ist von seinem Feriensitz in Wiltshire aus in Verbindung mit dem Auswärtigen Amt und scheint sehr beunruhigt zu sein.
    Wenn das Parlament nach den Sommerferien seine Sitzungen wieder aufnimmt, beabsichtigt Mr. James Burrell, Abgeordneter für Oxted, den Bezirk, in dem Miss Baker ihren Wohnsitz hat, den Außenminister um eine gründliche Untersuchung des Falles zu bitten. Andere Abgeordnete möchten wissen, warum Miss Baker nach Rußland gefahren ist und warum die Britische Botschaft bis jetzt nicht in der Lage war, das sowjetische Außenministerium zu einer zufriedenstellenden Erklärung zu veranlassen.
    Die Regierung wird versuchen, den Mißklang, der dadurch in die englisch-russischen Beziehungen gekommen ist, wieder zu beseitigen, besteht aber unabhängig davon weiter auf ihrem Recht, grundsätzlich über Verbleib und Schicksal jedes britischen Staatsangehörigen im Ausland in Kenntnis gesetzt zu werden.

    Lange Zeit saß Jackie mit dem Zeitungsausschnitt in der Hand. Es war so viel schlimmer, als June angedeutet hatte, daß es ihr schwerfiel, es ‘ überhaupt zu glauben. Ein leeres Gefühl in der Magengrube machte sich unangenehm bemerkbar. Sie hatte nicht zu Mittag gesessen und nur sehr wenig gefrühstückt, aber dieses kalte, leere Gefühl hatte mit Essen wenig zu tun.
    Schließlich stand sie auf, zuckte die Schultern und sagte sich, daß es besser sei, es gleich hinter sich zu bringen. Mit schnellen Schritten ging sie den Korridor entlang zum Arbeitszimmer des Botschafters.
    Sir Reginald und Humphrey Napier saßen sich am Schreibtisch gegenüber, und Sir Reginald brummte ungeduldig, als sie die Tür öffnete.
    «Ja, Miss Marsh? Ich nehme an, es ist was Wichtiges. Ich habe doch gesagt, ich will nicht gestört werden.»
    «Es ist etwas Wichtiges, Sir Reginald», sagte Jackie und versuchte, mit fester Stimme zu sprechen. «Es handelt sich um Miss Baker. Ich weiß, wo sie ist.»
    «Sie wissen, wo sie ist? Verdammt noch mal, warum haben Sie das denn nicht längst gesagt?» Sir Reginalds buschige Augenbrauen schienen noch gesträubter, als er sich im Stuhl umwandte und ärgerliche blaue Augen auf seine Sekretärin richtete.
    «Ich wußte doch nicht, daß man sie sucht», sagte Jackie, sich tapfer zur Wehr setzend. Die Erklärung, die sie gleich geben würde, mußte wie ein kalter Wasserstrahl wirken. «Und sie ist auch gar nicht verschwunden. Sie war die ganze Zeit in meiner Wohnung.»
    «In - Ihrer - Wohnung», sagte Sir Reginald, indem er jedes Wort sarkastisch betonte. «Und was, in drei Teufels Namen, hatte sie in Ihrer Wohnung zu suchen? »
    «Sie hatte eine Erkältung», sagte Jackie lahm.
    «Sie - hatte - eine - Erkältung», wiederholte Sir Reginald, wieder mit dieser beängstigenden Betonung. Plötzlich hieb er mit beiden Händen auf den Tisch und brüllte: «Ist Ihnen klar, Miss Marsh, daß in der Botschaft während der letzten beiden Wochen praktisch nicht gearbeitet worden ist, daß die britische und die sowjetische Regierung Noten über den Fall ausgetauscht haben, daß die Londoner Zeitungen nach Aufklärung schreien, daß die Beziehungen zwischen beiden Ländern praktisch lahmgelegt sind - und alles, wie Sie mir jetzt in aller Seelenruhe mitteilen, weil Miss Baker - eine - Erkältung -