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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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irgendeinem Kino gelandet und dort eingeschlafen sein.
    «Aber es hat wirklich keinen Sinn, diese Hypothesen zu verfolgen und sich dauernd im Kreis zu drehen», sagte Jackie. «Ich habe das Gefühl, daß Miss Baker sehr gut selbst auf sich aufpassen kann. Und man sollte annehmen, daß Sie von falschen Alarmen genug haben. Also lassen Sie uns ein paar Stunden abwarten und sehen was passiert, statt Spekulationen anzustellen. Und wenn Sie von nichts anderm reden können, dann lassen Sie uns wenigstens Scrabble oder Kanasta spielen, damit die Zeit bis zehn Uhr schneller rumgeht.»
    Jackie kannte weder Affektiertheit noch Verlegenheit. Für sie schien es das Natürlichste von der Welt, mit Lockenwicklern im Haar auf dem Fußboden zu sitzen und Karten an einen konventionellen jungen Mann auszuteilen, der ihr Benehmen mißbilligte. Sie brachte es sogar fertig, aus Humphrey so etwas wie ein Gespräch herauszulocken.
    «Wo wohnen Sie?» fragte sie plötzlich nach der dritten Runde Kanasta. «In England, meine ich.»
    «In Surrey, bei Oxted.»
    «Wie komisch. Ich bin dort in der Gegend geboren. Kennen Sie ein kleines Dorf namens Cheddar’s Mount?»
    «Natürlich, das ist ungefähr acht Kilometer entfernt von uns.»
    «Bis ich zwei Jahre alt war, haben wir dort gewohnt. Mein Vater war Pfarrer dort.»
    «Ihr Vater ist Pfarrer?» Humphrey konnte es kaum glauben.
    «Damals war er es. Jetzt ist er Bischof.»
    «Bischof?»
    «Warum soll mein Vater nicht Bischof sein?» fragte Jackie leicht gereizt.
    «Seien Sie nicht böse, aber Sie sehen nicht wie jemand aus, der in einem geistlichen Haushalt großgeworden ist.»
    «Mein Vater ist ein sehr moderner Geistlicher», antwortete Jackie. «Was ist denn Ihr Vater? Ja, ich weiß. Ich habe es in einem von den Zeitungsausschnitten gelesen. Er ist Rechtsanwalt. Sicher ein sehr altmodischer», setzte sie ziemlich unhöflich hinzu.
    «Da haben Sie völlig recht», sagte Humphrey. «Er hat nichts in der Kanzlei geändert, seit er sie von seinem Vater übernommen hat. Und ich habe auch nicht die Absicht, etwas zu ändern, wenn ich sie übernehme.»
    Jackie hatte die Karten für die vierte Runde verteilt und sah mit einem amüsierten und freundlichen Zwinkern zu Humphrey auf.
    «Na wunderbar! So, Sie sind dran, die oberste Karte ist eine rote Drei.»
    In diesem Augenblick klingelte das Telefon, und Jackie sprang auf.
    «Hallo? Ja, Stewart Ferguson, das ist aber eine Überraschung!» Sie gestikulierte beruhigend zu Humphrey hinüber. «O ja, es war herrlich. Herkommen? Du meinst, heute abend noch? Weißt du, ich bin schon im Pyjama - ich wollte gerade ins Bett gehen. Es ist schon ziemlich spät, nicht? Erst neun? Na ja, ich habe die ganze vorige Nacht im Flugzeug gesessen. Komm morgen abend, Stew. Dann erzähl ich dir alles über Samarkand. Mmm? Klar, du kannst mitbringen, wen du willst. Gut. Wiedersehn.»
    «Sie werden morgen von Stewart mitgebracht», informierte sie Humphrey. «Das wird ein Abend! Wenn wir Miss Baker dann immer noch geheimhalten müssen, wird das ja sehr gemütlich werden. Sie im
    Schlafzimmer und wir hier stundenlang im Wohnzimmer. Die Wohnung ist ein bißchen zu klein und hellhörig für solche Späße.»
    «Sie hätten ihn doch abwimmeln können. Warum haben Sie nicht gesagt, daß Sie schon was Vorhaben?»
    «Weil hier in der Ausländerkolonie jeder über jeden Bescheid weiß. Stew ist nicht dumm. Er hätte sofort Unrat gewittert. Außerdem kommt und geht er hier seit Jahren, wann immer er Lust hat und ohne eingeladen zu sein, und würde es sehr komisch finden, wenn er plötzlich nicht kommen dürfte, nachdem er auch noch extra vorher gefragt hat.»
    Humphrey war über Jackies Unbekümmertheit sehr schockiert. Er begann, ihr klarzumachen, daß ihr Vater sicherlich nicht damit einverstanden wäre, daß sie zu jeder Tages- und Nachtzeit junge Männer in ihrer Wohnung habe; Jackie unterbrach ihn mit dem Hinweis, daß Moskau etwas anderes als Surrey sei; Humphrey sagte, das habe er auch schon bemerkt, aber schließlich gäbe es in der ganzen Welt bestimmte Anstandsregeln; Jackie fuhr ihn an, er sei unerträglich altmodisch, und bald waren sie in ein hitziges Wortgefecht verwickelt und hatten ihr Kanasta ganz vergessen.
    «Es ist zehn», rief Jackie aus und unterbrach sich selbst mitten im heftigsten Argumentieren. «Das war viel interessanter als Kanasta. Sie sind wohl sehr konsequent mit Ihren verstaubten Ansichten, was? Ich rufe nur schnell in der Botschaft an, und dann

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