Oma klopft im Kreml an
können wir uns weiter zanken.»
Aber Humphrey, dem es mit seinen Meinungen sehr ernst war, konnte Jackies sprunghaftem Benehmen nicht ganz folgen. Ihr plötzliches Fortlaufen rief ihm das Problem Miss Baker (das er unerklärlicherweise in der letzten Stunde völlig vergessen hatte) wieder ins Bewußtsein zurück, und er versank in tiefe Depression, die auch Jackies Ablenkungsversuche nicht vertreiben konnten.
«Der Milizsoldat am Tor muß sie doch beim Weggehen gesehen haben», überlegte er jetzt. «Er kann ihr ohne weiteres jemand nachgeschickt haben, und sie ist festgenommen und irgendwo hingebracht worden. Die Russen werden die Sache an die Presse weitergeben, und die Botschaft wird sich verteufelt anstrengen müssen, alles zu erklären.»
«Da irren Sie sich aber», widersprach Jackie. «Ich bin sicher, die Russen wollen die Verantwortung für Miss Baker genausowenig wie wir. Sie würden sie einfach in die Botschaft schicken.»
Aber Humphrey gab sich eine weitere halbe Stunde seinen düsteren Vorahnungen hin, bis Sir Reginald anrief, um das Neueste zu erfahren.
«Machen Sie sich keine Gedanken», tröstete er mit philosophischem Gleichmut, der wohl auf den ausgezeichneten Cognac des italienischen Botschafters zurückzuführen war. «Warten Sie noch bis zwölf, und dann gehen Sie ins Bett. Ich lasse den letzten Bericht ans Außenministerium noch bis elf liegen.»
Folglich ging um elf Uhr abends die letzte der widersprüchlichen Meldungen dieses Tages an das Außenministerium ab, wo sie eiligst mit einer roten Depeschentasche an den diensttuenden Beamten weiterbefördert wurde, der sofort ein Ferngespräch mit dem Landhaus des Premierministers führte und erleichtert war zu hören, daß alle weiteren Telegramme bis zum nächsten Morgen Zeit hätten.
Um halb zwölf wurden Jackie und Humphrey, die vor Verzweiflung wieder zum Kanasta zurückgekehrt waren, von der Türklingel aufgeschreckt.
Jackie war als erste an der Tür und riß sie auf. Vor ihr stand Miss Baker und schüttelte den Regen von ihrem Schirm.
«Nur gut, daß ich ihn mitgenommen habe», sagte sie. «Als ich aus dem Bus stieg, fing es richtig an zu gießen.»
14
Das Ablegen nasser Kleidungsstücke war bei Miss Baker mit einem festen Ritus verbunden. Der Mantel mußte ausgezogen, ausgeschüttelt und sorgfältig über einen Bügel gehängt, die Schuhe mit Hausschuhen vertauscht, der Schirm kräftig geschüttelt und zum Trocknen aufgespannt werden.
All das nahm unendliche Zeit in Anspruch, und die Begrüßung zwisehen Humphrey und seiner Tante, die ganz mit diesem prosaischen Ritual beschäftigt war, fiel folglich etwas lahm aus.
Jackie, die mit einem begierigen «Ja, um Himmels willen, wo waren Sie denn, Miss Baker?» auf sie losgestürzt war, konnte ihre Ungeduld kaum mehr bezähmen, als sich Miss Baker schließlich ins Wohnzimmer führen ließ.
«Ja, Humphrey, das ist wirklich eine Überraschung», sagte Miss Baker, während sie in den bequemsten Sessel sank und ihren Großneffen mit ehrlicher Freude, aber auch begreiflicher Neugier betrachtete. «Ich hatte keine Ahnung, daß du nach Moskau fahren wolltest. Und daß du auch Miss Marsh kennst? Mein Kind, wenn es nicht zu viel Mühe macht, würde ich sehr gern eine Tasse Tee trinken. Ich habe zwar den ganzen Abend diesen russischen Tee getrunken, aber Sie wissen ja, der zählt bei mir nicht.»
«Aber wo sind Sie gewesen?» fragte Jackie, als sie in die Küche ging, um Wasser aufzusetzen.
«Oh, ich hatte ein sehr nettes kleines Abenteuer», sagte Miss Baker mit einem zufriedenen Seufzer. «Und ich werde euch alles genau erzählen, wenn der Tee fertig ist. Deinen Eltern geht es hoffentlich gut, Humphrey? Und der lieben Constance?»
Aber diesmal hatte Humphrey keine Zeit für höfliche Nichtigkeiten. Er fegte sie ungeduldig beiseite und begann mit juristischer Umständlichkeit genau zu erklären, was ihn nach Moskau gebracht hatte, was seit seiner Ankunft passiert war und wie er dazu kam, Jackie Marsh zu kennen.
Miss Baker unterbrach ihn nicht, stellte keine Fragen, noch schien sie besonders beeindruckt. Erst gegen Ende seiner Darlegungen schnalzte sie ungeduldig mit der Zunge, richtete sich indigniert bebend kerzengerade in ihrem Sessel auf und verkündete:
«Das alles hat natürlich überhaupt nichts mit mir zu tun. Aber wenn diese Journalisten solche Mühe und Kosten deshalb hatten, ist es nur recht und billig, daß ich morgen vormittag zum Hotel gehe und mich bei ihnen entschuldige.
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