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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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bezeichneten sich als Camorristi.
    Der Herzog bemerkte allerdings Unterschiede in der Kleiderordnung der Camorristi aus den verschiedenen Regionen. Sizilianer tendierten eher zum vornehmen Schwarz. (Der Camorrista, der sich dem Herzog an seinem ersten Tag im Castello del Carmine vorstellte, war Sizilianer.) Noch vor kurzem hatten Neapolitaner sich ebenso gekleidet. Doch seit einiger Zeit zogen sie es vor, ihren Status mit Kleidern kundzutun, die jede Farbe haben durften, vorausgesetzt, sie waren von feiner Qualität und wurden mit goldenem Tand kombiniert: goldene Taschenuhr, goldene Ohrreife, klobige Goldringe an den Fingern, dazu ein Fez, der mit vielen Litzen, Stickereien und einer goldenen Troddel geschmückt war.
    Es herrschten starke Loyalitäten und Rivalitäten zwischen den Camorristi der verschiedenen Regionen. Der Herzog machte die Erfahrung, dass die Neapolitaner eine »unüberwindliche Abneigung« gegen die Kalabresen hegten. Sobald diese Abneigung sich in offenen Feindseligkeiten entlud, pflegten Camorristi aus anderen Gegenden sich in immer gleicher Formation für die eine oder die andere Seite zu entscheiden: Zu den Neapolitanern standen die Männer aus dem neapolitanischen Umland und aus Apulien; alle anderen hielten zu den Kalabresen. Die Sizilianer »blieben am liebsten unter sich«, so Castromediano. »Doch wenn sie einmal Farbe bekannten, dann weh den Feinden!, denn sie nahmen grausamste Rache!« Im schlimmsten Fall »lagen danach Dutzende von Leichen auf dem Gefängnisfriedhof«.
    Trotz ihrer vielen bösartigen Rivalitäten und unterschiedlichen Eigenschaften bezeichnen sich sizilianische Mafiosi, neapolitanische Camorristi und kalabrische ’Ndranghetisti allesamt als Mitglieder der »ehrenwerten Gesellschaft«. Ihr gemeinsames Vokabular beweist die gemeinsamen Ursprünge im Gefängnissystem des Königreichs beider Sizilien. In der Tat hat alles, was Castromediano im Gefängnis über die Camorra herausfand, noch heute seine Gültigkeit – auch für die sizilianische Mafia und die kalabrische ’Ndrangheta. Italiens Verbrecherorganisationen engagieren sich sowohl im illegalen Handel als auch als Schattenstaat, der erpresste »Steuern« mit eigenen juristischen und politischen Systemen kombiniert. Ginge es nach ihnen, würden Italiens ehrenwerte Gesellschaften die Welt in ein riesiges Gefängnis verwandeln, in dem ihre simplen, aber grausam effizienten Regeln Gültigkeit hätten.
     
    Siebeneinhalb Jahre, nachdem Sigismondo Castromediano in das Castello del Carmine überstellt worden war, wurde der diplomatische Druck auf die Bourbonenregierung schließlich so groß, dass politische Gefangene ausgelöst wurden; somit wurde auch das Urteil gegen den Herzog in ein dauerhaftes Exil umgewandelt. Mittlerweile war sein Haar vollständig weiß geworden. Kurz vor seiner Freilassung bestach er einen Wärter, zwei traurige Andenken behalten zu dürfen: seine Fußeisen und seine rote Tunika. Die Demütigungen seiner Gefängnisjahre würden ihn zeit seines Lebens verfolgen.
    Der Herzog verbrachte nur ein gutes Jahr im Exil. Dann kam Garibaldi: Der Bourbonenstaat zerbrach, und sein Hoheitsgebiet wurde ein Teil Italiens. In Turin, am 17 . März 1861 , war Castromediano Mitglied des Parlaments und sah zu, wie König Viktor Emanuel von Piemont-Sardinien zum Monarchen des neuen Königreiches ausgerufen wurde. Der Traum, für den er so lange gelitten hatte, war Wirklichkeit geworden.
    Doch Castromediano verlor bald die parlamentarische Stellung, die ihm sein Martyrium im Gefängnis eingebracht hatte. Er kehrte zur Residenz seiner Vorfahren nach Apulien zurück, das den Absatz des italienischen Stiefels bildet. Während er im Gefängnis gesessen hatte, war sein Schloss unweit der Stadt Lecce ziemlich baufällig geworden. Doch da ihn die Camorra fast an den Bettelstab gebracht hatte, würde er niemals genügend Geld aufbringen können, um es instandsetzen zu lassen. Die gelegentlichen Gäste, die den Herzog über die Jahre besuchten, betrachteten das Gemäuer als passende Kulisse für einen Mann, der für die nationale Sache so viel erduldet hatte: Es verfiel zur Halbruine wie jene Gebäude in den Romanen der Romantik, die den Patriotismus des Herzogs in dessen Jugend so sehr befeuert hatten. In einer Ecke der Schlosskapelle konnte man die Gegenstände besichtigen, die er seine »Orden« nannte: die Fußkette und die Tunika. Die Camorra war in die Seele des Herzogs eingedrungen und hatte ihn mit einer

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