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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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. September 1955 unternahm Capua einen verzweifelten Versuch, seine Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen, und zwar nach beiden Seiten. Er verabredete ein Treffen mit Polizeichef Marzano, um über den Fall eines Verdächtigen mit ihm zu sprechen, der damals verhört wurde. Der Verdächtige, ein ’Ndranghetista namens Pizzi, der in Condofuri Bürgermeister war, fungierte als Capuas Wahlagent und war für die gesamte ionische Küste der Provinz Reggio Calabria zuständig. Capua hoffte vermutlich, dass sein politisches Amt den Polizeichef einschüchtern werde. Schließlich waren zahllose Mafiosi in den vergangenen hundert Jahren auf diese Weise protegiert worden. Doch der neue Polizeichef genoss selbst ausreichend Rückendeckung durch die Politik und ließ sich nicht beirren. Stattdessen legte er Capua gelassen die belastenden Beweise vor, die er bereits gegen Bürgermeister Pizzi gesammelt hatte, der mit ihnen im Zimmer saß. Der Staatssekretär reagierte mit der Dreistigkeit, zu der nur eine gewisse Sorte italienischer Politiker imstande ist. Zuerst gab er sich überrascht und bestürzt. Dann ließ er Marzano seelenruhig wissen, dass sein Freund, Bürgermeister Pizzi, ein ehrlicher Mann mit guten Absichten sei, den sein Umfeld verdorben habe. Mit diesen Worten wandte er sich an den Bürgermeister, hob mahnend den Zeigefinger und bat ihn inständig, er möge in sich gehen und »von nun an« mit der Polizei zusammenarbeiten.
    Leider verraten uns die Dokumente nichts über die Reaktion Fernando Tambronis, als er diese Geschichte über seinen Kabinettskollegen las. Wir wissen also nicht, ob er schockiert war oder lachte, bis die Nähte seines Maßanzugs platzten. Aber wir können zumindest mutmaßen, was ihm durch den Kopf ging. Tambroni mag sich gedacht haben, dass eine Bloßstellung Capuas das delikate Gleichgewicht innerhalb der Koalitionsregierung stören konnte. Vielleicht hielt er sich auch nur an eines der alten, ungeschriebenen Gesetze des institutionellen Lebens in Italien. Jede Regierungsfraktion, jede Parteiclique musste sich irgendwann mit Politikern ins Bett legen, die »Freunde der Freunde« in Sizilien, Kampanien oder Kalabrien waren. Ermittelte man gegen einen von ihnen, ließe sich schwer abwägen, was alles ans Licht käme. Da mochte die Ordnungsmacht in Süditalien noch so oft betonen, dass die Mafiaorganisationen niemals ausgerottet werden konnten, solange ihre politischen Gönner unangetastet blieben. Am besten, man beließ alles beim Alten. Die Beweise gegen Capua wurden unter den Tisch gekehrt.
    Auch seine Freunde in der ’Ndrangheta wusste Capua zu beschwichtigen. Zumindest gehen wir davon aus, da er bei der nächsten Wahl im Amt bestätigt wurde.
     
    Ein weiterer Politiker, dessen Machenschaften während der Operation Marzano ans Licht kamen, entstammte der Partei des Innenministers, der
Democrazia Cristiana
. Domenico Catalano, hieß es in einem streng geheimen Bericht an Tambroni, sei einer von drei führenden Christdemokraten, die mächtige Positionen in halbstaatlichen und kirchlichen Organisationen innehatten und heftig mauschelten. Alle drei standen im Verdacht, Verbindungen zum organisierten Verbrechen zu pflegen. Catalano prahlte sogar in aller Öffentlichkeit, für die Versetzung eines früheren Polizeichefs aus Kalabrien gesorgt zu haben, als dieser ein wenig übereifrig gegen ’Ndranghetisti vorgegangen war. Am meisten beunruhigte die Tatsache, dass Catalano auch im »Provinzausschuss für Polizeimaßnahmen« saß. Dieses wichtige Gremium bestimmte über die Anträge der Polizei, gefährliche Verdächtige ohne ordentliches Gerichtsverfahren in Strafkolonien zu verbannen. (Das interne Exil in Italien stammte noch aus der Zeit, als die Carabinieri anstatt mit Maschinenpistolen und Jeeps mit Musketen und Pferden ausgestattet waren. Dieser aus juristischer Sicht höchst zweifelhafte Umgang mit Verdächtigen war zudem gänzlich kontraproduktiv, da die Strafkolonien berüchtigte Rekrutierungsorte der Mafia waren.)
    Während der Operation Marzano ließ die Polizei ganze Horden von verdächtigen ’Ndranghetisti in die Strafkolonie der entlegenen Insel Ustica verfrachten, vor der Nordküste Siziliens. Dabei bemerkte der Präfekt von Reggio Calabria, Minister Tambronis Mann vor Ort, dass Domenico Catalano Männern gegenüber, die besonders schaurige Vorstrafenregister aufwiesen, eine »gewisse Nachsicht« an den Tag legte. Mehrere Priester, die vor dem Provinzausschuss als Zeugen aussagten,

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