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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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bezeigten dieselbe merkwürdige Milde. Doch anstatt Ärger zu machen, entschied sich der Präfekt für eine klassisch christdemokratische Reaktion und wechselte ein paar Worte unter vier Augen mit dem Erzbischof.
    Der damalige Erzbischof von Reggio Calabria war nun gewiss kein Freund der ’Ndrangheta. Er hatte erst kurz zuvor einen Hirtenbrief verfasst, in dem er über »zwielichtige Geheimbünde« klagte, deren Mitglieder »unter dem Deckmantel der Ehre Verbrechen, Rachsucht und Machtmissbrauch propagieren und praktizieren«. Wir können nur ahnen, wie sehr ihn die Nachricht verstörte, dass der Politiker Domenico Catalano, ein führendes Mitglied kirchlich geprägter Organisationen vor Ort, mit dem organisierten Verbrechen im Bunde war. Doch anstatt Alarm zu schlagen, entschied sich der Erzbischof für die klassische Reaktion der italienischen Kirche und bat Catalano um ein Gespräch unter vier Augen. Er redete dem Politiker höflich ins Gewissen, er möge seine Verpflichtung im Provinzausschuss für Polizeimaßnahmen ernster nehmen.
    Die kleine Kette von Gesprächen unter vier Augen schien ihre Wirkung zu tun. Eine Weile stimmte Catalano wie alle anderen Mitglieder des Ausschusses dafür, ’Ndranghetisti in Strafkolonien zu verbannen.
    Doch dann sollte der Provinzausschuss für Polizeimaßnahmen über das Schicksal eines ebenso berüchtigten wie mächtigen Kriminellen entscheiden, der in unserer Geschichte bereits an anderer Stelle eine wichtige Rolle gespielt hatte: Antonio Macrì, bekannt als Don ’Ntoni, der in den letzten Jahren des Faschismus angeblich mit dem Carabiniere Massaru Peppi an der Wallfahrtsstätte der Madonna von Polsi eine Tarantella tanzte. 1955 war Don ’Ntoni nicht nur der
capobastone
im Marktflecken Siderno, sondern auch einer der mächtigsten Bosse in ganz Kalabrien. Im Herbst 1953 hatte Don ’Ntoni bekanntermaßen während der Wallfahrt in Polsi ein Plenartreffen der ’Ndrangheta geleitet. (Auch dies ein Beweis dafür, dass die ’Ndrangheta schon immer über eine Art Koordinationsgremium verfügte.)
    Irgendeinen Feld-Wald-und-Wiesen-’Ndranghetista auf eine entlegene Insel zu verbannen, war das eine; Don ’Ntoni aber stand auf einem anderen Blatt. Am 3 . September 1955 – der Oberboss wartete im Flur vor dem Saal, in dem der Provinzausschuss für Polizeimaßnahmen tagte – erhob sich Domenico Catalano und informierte die übrigen Mitglieder feierlich, er müsse eine Erklärung abgeben, die »den Vatikan betraf«. Dann erzählte er eine Geschichte, bei der es allen Anwesenden die Sprache verschlug.
    Catalanos Geschichte lautete etwa folgendermaßen: Einige Jahre zuvor hatte der Bischof von Locri herausgefunden, dass einige Priester Geld aus einer kirchlichen Einrichtung gestohlen hatten. Der Bischof habe die Priester aufgefordert, das Geld zurückzugeben, erklärte Catalano, woraufhin die Priester einen Mörder auf den Bischof angesetzt hätten. Zum Glück habe der Bischof von dem Mordplan erfahren und klugerweise den maßgeblichen ’Ndranghetista der Gegend, Don ’Ntoni Macrì, um Schutz gebeten. Don ’Ntoni, offenbarte Domenico Catalano, habe dem Bischof tatsächlich das Leben gerettet. Ein Mann, der zu solch einer edlen Geste fähig sei, verdiene doch gewiss eine milde Behandlung seitens des Ausschusses, nicht wahr?
    Die übrigen Kommissionsmitglieder waren nicht überzeugt. Don ’Ntoni wurde prompt in eine Strafkolonie verbannt und seiner furchterregenden kriminellen Karriere somit eine Pause auferlegt. Minister Tambroni in Rom erhielt einen detaillierten Bericht von der Angelegenheit.
    Ob an Catalanos höchst unglaubwürdiger Geschichte von dem Mordkomplott gegen den Bischof von Locri auch nur ein Fünkchen Wahrheit war, werden wir nie erfahren, zumal uns eine dokumentierte Erklärung der päpstlichen Kurie fehlt. Dennoch ist die Affäre beispielhaft. Italiens Problem mit dem organisierten Verbrechen bestand nicht nur in der Tatsache, dass die Mafia über private Kanäle den Staat beeinflusste, sondern vor allem darin, dass Präfekten, Politiker und Erzbischöfe sich derselben privaten Kanäle bedienten. Anstatt sich an die Gesetze zu halten, führten sie Gespräche unter vier Augen.
    Wieder las Innenminister Tambroni den Bericht und rührte keinen Finger. Es tat offenbar nichts zur Sache, dass hier ein Politiker versucht hatte, zugunsten eines ’Ndranghetista das Gesetz zu beugen. Domenico Catalano, der sich die seltsame Geschichte über den Bischof, der sein Leben

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