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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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einem Mafiaboss verdankte, ausgedacht hatte, saß noch viele Jahre im Provinzausschuss für Polizeimaßnahmen.
     
    Am 27 . Oktober 1955 – nur 54  Tage nach seiner Landung – stieg Polizeichef Marzano wieder in seine fliegende Untertasse und verließ Kalabrien. Dass kaum zwei Monate intensiver Polizeiarbeit dauerhafte Veränderungen herbeiführen würden, war nicht anzunehmen. Über kurz oder lang würden die ’Ndranghetisti aus ihren Strafkolonien heimkehren, und alles ginge wieder den gewohnten Gang.
    Der italienische Staat hätte keinen deutlicheren Beweis für seine fehlende Beharrlichkeit liefern können. Tambronis Polizeiapparat schien nicht sonderlich erpicht, die ’Ndrangheta als Organisation wirklich zu durchschauen. Die gesamte Kommandokette – vom Innenministerium in Rom bis hinunter zu den einfachen Polizisten in Kalabrien – hatte zahlreiche Informationen zur Verfügung, um ein überzeugendes Bild der kalabrischen Mafia zu erstellen. Am 28 . Mai 1955 , nur drei Monate vor Beginn der Operation Marzano, hatten Polizei und Carabinieri ein Haus in Rosarno durchsucht und ein Notizbuch gefunden, das die Regeln der ’Ndrangheta enthielt. Zweieinhalb Wochen später wurde das Ungeheuer von Presinaci endlich gefasst und äußerte seine Absicht, die Polizei über alles in Kenntnis zu setzen. Die Behörden erfuhren eine Menge: über die netzartige, territoriale Struktur der ’Ndrangheta; über ihre Schutzgelderpressungen und die Kultur der Blutrache; über die Art und Weise, wie sie sich als Alternative zum Gesetz betrachtete, und über ihre Fähigkeit, mit den verfeindeten Cliquen und Gruppierungen der kalabrischen Politik Bündnisse zu schließen. Und doch gibt es nicht den kleinsten Hinweis darauf, dass Polizeichef Marzano auch nur im mindesten daran interessiert war, aus diesen wertvollen neuen Erkenntnissen praktischen Nutzen zu ziehen. Ebenso wenig findet sich in dem Häufchen offizieller Korrespondenz, das sich während der Operation Marzano angesammelt hatte, irgendein Indiz, dass die Behörden möglicherweise über historische Quellen zur Entstehung der Ehrenwerten Gesellschaft verfügten oder aus früheren Bekämpfungsversuchen etwas gelernt hatten. Kurzum, niemand assoziierte mit dem Gedanken einer »Invasion vom Mars« die Vorstellung, dass es für ein erfolgreiches Vorgehen gegen die ’Ndrangheta hilfreich sein könnte, sie von innen her zu begreifen.
    Im Parlament in Rom hegten die Kommunisten den Verdacht, dass die Operation Marzano niemals ernsthaft die Bekämpfung der ’Ndrangheta zum Ziel hatte. Sie waren der Überzeugung, dass Tambronis Versprechen, er werde »niemandem gefällig sein«, von Anfang an hohl und zynisch gewesen war. Die schamlosesten Beispiele für die Unterstützung von Politikern durch das organisierte Verbrechen betrafen die Christdemokraten. Ein sozialistischer Politiker erzählte im Parlament, dass Vincenzo Romeo, der Boss mit den zehn Hunden, mit einer Maschinenpistole herumgelaufen sei und dabei geschrien habe: »Entweder ihr wählt die Christdemokraten, oder ich bring euch um.« Marzano sei wählerisch, was die Mafiosi betreffe, die er auffliegen lasse, protestierten die Kommunisten. So sei der christdemokratische Bürgermeister der Provinzhauptstadt Reggio Calabria trotz ernstzunehmender Hinweise, dass er Verbindungen zum organisierten Verbrechen pflege, nicht inhaftiert worden. Dagegen sei der kommunistische Bürgermeister des Bergdorfes Canolo, Nicola D’Agostino, verhaftet und in eine Strafkolonie verbannt worden.
    Die Behauptungen der Kommunisten, Tambronis Invasion vom Mars sei ideologisch voreingenommen, waren nicht ganz von der Hand zu weisen. Das Beispiel D’Agostinos war freilich etwas unglücklich gewählt, weil dieser Bürgermeister zwar ein Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens war, dabei aber auch weiterhin ein Boss der ’Ndrangheta. Die Polizei behauptete, er habe die Partei nur dazu benutzt, den Ort in Schach zu halten. D’Agostino war kein Einzelfall: Auch das letzte Opfer des Ungeheuers von Presinaci war ein kommunistischer ’Ndranghetista. Kommunisten im Süden Kalabriens waren weniger gegen die Unterwanderung durch die Mafia gefeit als ihre Kameraden im Westen Siziliens, die so viele Märtyrer im Kampf gegen das organisierte Verbrechen aufzuweisen hatten. In Kalabrien besaß die ’Ndrangheta mancherorts sogar die Macht, die Ideologie ihrer Feinde auszuhöhlen.
    Anders ausgedrückt: Tambroni verfolgte offenbar keinen besonders

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