Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
sämtliche Schieber Europas versammelt sind, (…) die Internationale Zone ist ein einziger riesiger Schwarzmarkt.« Vom sicheren Hafen Tanger aus konnten die »Mutterschiffe«, vollgepackt mit Schmuggelzigaretten, an der südeuropäischen Küste entlang ausschwärmen. Kam Neapel in Sicht, warteten sie in internationalen Gewässern auf kleine einheimische Boote, die die Fracht an Land bringen würden.
Als König Mohammed die Schließung der Internationalen Zone ankündigte, wurde der Zigarettenschmuggel kurzfristig erschwert. Nur die organisierten und am besten ausgestatteten Schmuggler konnten überleben. Die einzigen Großhändler, die weiter gediehen, hatten internationale Verbindungen zu Reedereien, Zigarettenherstellern und Verwaltungsbeamten, beispielsweise auf dem Balkan. Aus anderen Gründen mussten die einheimischen Helfer, die die Zigarettenkisten an Land ruderten, ebenfalls ihren Einsatz erhöhen: Teure Schnellboote waren vonnöten, um die
Guardia di Finanza
(Zoll- und Steuerpolizei) abzuhängen. Als die Konkurrenz im Tabakgeschäft größer wurde, wurde auch die Gewalt größer. Der Schmuggel war nicht länger ein Geschäft für Amateure.
Neapel gefiel dem neuen Profischmuggler der sechziger Jahre aus mehreren Gründen. Einer der wichtigsten war der Nachschub an leicht verfügbarem kriminellen Nachwuchs in den Gassen, in denen Concetta Muccardo zur Legende geworden war. Neapel war auch das Tor zu einem italienischen Markt, der infolge des Wirtschaftswunders immer mehr Zigaretten konsumierte. In den sechziger Jahren war Neapel zudem ein Freihafen: Die Camorra in der Stadt war noch vergleichsweise schwach, und so gab es noch keine kriminelle Organisation, die stark genug gewesen wäre, die Konkurrenz fernzuhalten. Daher zog es gut vernetzte Großdealer aus Genua, Korsika und Marseille in die Stadt am Fuße des Vulkans, wo sie nach Verkaufsstellen für ihre Zigaretten suchten. Doch die wichtigsten Neuankömmlinge nach der Schließung der Internationalen Zone in Tanger – Männer, die den Kurs der Kriminalgeschichte in Italien radikal verändern würden – stammten aus Sizilien.
Cosa Nostra: Nicht mehr unantastbar
In den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren konnte Italien miterleben, wie die Vereinigten Staaten erneut ihr Mafiaproblem in Angriff nahmen. Im November 1957 kam es auf einem großen Anwesen in Apalachin im Hinterland von New York zu einem spektakulären Vorfall, als die Staatspolizei in eine Versammlung von etwa hundert Mafiabossen stolperte. Einige waren aus Kalifornien, Kuba und Texas angereist. Sechzig Männer wurden in Gewahrsam genommen, und das FBI musste endlich zugeben, dass die Mafia – oder nationale Verbrechervereinigung oder wie auch immer man sie nannte – tatsächlich mehr war als ein romantischer Mythos. Im Anschluss wurde Vito Genovese, Oberhaupt der New Yorker Familie, die seinen Namen trug, 1959 wegen Rauschgifthandels zu 15 Jahren Haft verurteilt: Es war der erste größere Schlag gegen einen amerikanischen Boss in den eineinhalb Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Unterdessen stand Robert F. Kennedy, der energische junge Chefberater eines neuen Senatsausschusses zur Untersuchung krimineller Machenschaften in der Transportarbeitergewerkschaft, kurz davor, einen Korruptionsskandal aufzudecken. Nach der Versammlung in Apalachin machte sich der Ausschuss erneut das Medium Fernsehen zunutze, indem er mehrere prominente Bosse befragte, die in Apalachin dabei gewesen waren, wie Joe Profaci und Thomas Lucchese. Die Fernsehzuschauer erlebten außerdem, wie ein Bundesbeamter die dynastische Politik der Mafia erklärte:
»Ehebündnisse zwischen den Clans sind insofern von Bedeutung, als man sich oftmals fragt, ob diese Leute einander tatsächlich heiraten wollen. Dennoch finden diese Hochzeiten statt. Nehmen wir einmal an, zwei wichtige Männer innerhalb der Mafia haben Kinder, dann werden ihre Söhne und Töchter einander heiraten (…) ein Clanoberhaupt würde nicht wollen, dass sein Kind einen Niemand heiratet.«
Bobby Kennedys Bestseller
The Enemy Within
( 1960 , zu deutsch
Gangster drängen zur Macht
, 1965 ), der von den Ermittlungen handelt, die er leitete, enthält lebhafte kleine Porträts der italo-amerikanischen Gangster. Eines davon beschreibt Carmine Lombardozzi, zuständig für »die Beziehungen zwischen den Tarifpartnern«. Er hatte während des Treffens in Apalachin in der Garage warten müssen, während die übrigen Mafiosi darüber
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