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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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weil er in den sechziger Jahren in einem erfolgreichen Bühnenstück über Gefängnisganoven Anwendung fand.
    Warum fällt es den Mafias so schwer, sich selbst einen Namen zu geben? Hauptsächlich wohl deshalb, wie ein Abtrünniger der Cosa Nostra es später formulieren würde, weil ein krimineller Geheimbund das »Reich der unvollständigen Sprache« ist:
    »Die Zerstückelung von Informationen gehört zu den wichtigsten Regeln der Mafia. Die Cosa Nostra ist nicht nur nach außen hin verschlossen, indem sie der Außenwelt ihre Existenz und die Identität ihrer Mitglieder verheimlicht, sondern auch nach innen: Keines ihrer Mitglieder kennt alle Fakten, wodurch der Informationsfluss behindert wird.«
    Mafiosi regeln ihre Angelegenheiten für gewöhnlich durch unmerkliches Kopfnicken und beredtes Schweigen, und ihre Äußerungen sind von einer raffinierten Unbestimmtheit, die nur von Leuten verstanden wird, die sie verstehen sollen. Kommunikationen innerhalb der Mafia sind wie das leise Flüstern in einem Labyrinth. Wenn also die Außenwelt etwas über die Angelegenheiten der Mafia verlauten lässt, tönt dies durch das Labyrinth wie eine Fanfare.
    Trotz der Kontroverse, der extremen Vereinfachung und der perversen Nebenwirkungen war die offene Diskussion in Amerika über die Mafia damals ein gesundes Zeichen. Sie lässt darauf schließen, dass die Phase der relativen Straflosigkeit und Unsichtbarkeit, von der italo-amerikanische Gangster lange Zeit profitierten, endgültig vorbei war. Die Mafia in den Vereinigten Staaten war nicht mehr unantastbar. Jetzt stellte sich die Frage, wie lange Italien brauchen würde, um Onkel Sams Beispiel zu folgen.
    Mafiadiaspora
    Im Oktober 1957 , nur wenige Wochen vor dem Apalachin-Gipfel im Hinterland von New York, trafen sich Ehrenmänner aus den Vereinigten Staaten zu einer mehrtägigen Versammlung mit sizilianischen Bossen im Grand Hotel et des Palmes im Herzen Palermos. Oberhaupt der amerikanischen Abordnung war Joe »Bananas« Bonanno –
capo
der New Yorker Familie, die nach ihm benannt war. Ganz oben auf der Tagesordnung stand vermutlich Rauschgift. Doch im Gegensatz zu den Ereignissen in Apalachin nahmen die schläfrigen Augen der Palermer Polizei das Treffen lediglich zur Kenntnis. Nichts wurde dagegen unternommen.
    Während Joe Bananas in Palermo war, wurden nicht nur geschäftliche Angelegenheiten besprochen. Den späteren Bekenntnissen eines jungen Drogenhändlers namens Tommaso Buscetta zufolge (der über ein Vierteljahrhundert später eine bahnbrechende Rolle in der Geschichte der sizilianischen Mafia spielen würde) war der eigentliche Anlass des italo-amerikanischen Treffens von 1957 eine wichtige organisatorische Neuerung innerhalb der sizilianischen Mafia. Offenbar schlug Joe Bananas eines Abends bei Tisch vor, dass Sizilien eine Mafiakommission erhalten sollte – eine Art Führungsgremium wie jenes, das die innerfamiliären Beziehungen in New York regelte, seit Lucky Luciano es 1931 ins Leben gerufen hatte. Seitdem gibt es immer wieder einmal eine solche Kommission. Nicht zum ersten Mal hatten sizilianische Mafiosi bewiesen, dass sie eher als Italiens Polizei und Politik gewillt waren, von Amerika zu lernen.
    Allerdings war besagte Kommission, wie sizilianische Historiker mittlerweile bestätigt haben, nicht so neu, wie Tommaso Buscetta glaubte. Hinweise darauf, dass die Cosa Nostra über Führungsgremien verfügte, finden sich bereits in den frühesten Belegen über sie. So gab es zum Beispiel Koordinationsformen zwischen den verschiedenen
cosche
Westsiziliens – gemeinschaftliche Tribunale, um Streitigkeiten zu regeln, Gipfeltreffen, Heiratsabkommen und dergleichen mehr. In Amerika fanden vor dem Ersten Weltkrieg Ratsversammlungen der führenden Ehrenmänner der Ostküste statt. Nehmen wir die jüngste Geschichte als Leitlinie für mysteriöse Momente in der Vergangenheit, liegt nahe, dass die Mafia schon immer ein sehr lebendiges konstitutionelles Leben führte. Sizilianische Mafiabosse haben unentwegt neue Regeln und Rituale erfunden, um ihre eigene Autorität zu stärken und mit den Nachbarn Frieden zu halten. Doch ebenso oft haben sie ihre eigenen Regeln und Rituale gebrochen oder Wege gefunden, sie als politische Waffe gegen ihre Feinde einzusetzen.
    Ende der fünfziger Jahre jedoch waren derartige Feinheiten in der Analyse der Mafia den Machthabern in Italien noch gänzlich fremd. Das Thema der organisierten Kriminalität auf Sizilien blieb im politischen

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